Samstag, 10. September 2022

98. Tag: 30. August 2022 Rifugio Migliorero - Strepeis/ Bagne di Vinadio

Mein Plan ist heute, zwei eher kurze Etappen zusammenzufassen, um in acht Gehstunden nach Sant'Anna di Vinadio zu kommen.
Beim ersten Blick aus dem Fenster sinkt die Zuversicht noch nicht: Die vielen Wolken sind keineswegs optimal, aber regnen soll es laut ILMETEO.IT erst ab 15 Uhr.
Also sitze ich schon um 7 Uhr im Speisesaal und genieße, nun ja nicht wirklich, das magere Hüttenfrühstück. Wie gestern Abend versuche ich parallel, das Handy an eine der Steckdosen anzuschließen, leider wieder vergeblich: Es habe zu wenig Strom aus den Sonnenkollektoren für den Betrieb des Allgemeinstroms. Das verwundert insofern, als dass doch gestern bis zum späten Nachmittag durchgängig die Sonne geschienen hatte; das müsste doch eigentlich reichen für einen normalen Betrieb. Aber wer weiß, welche Solartechnik und Batterien die hier verwenden, und vielleicht sind diese Teile der Infrastruktur auch einfach nur genauso abgerockt wie die ganze Hütte an sich.
Kaum bin ich fertig mit frühstücken, beginnt es draußen zu regnen, so ein ordentlicher Sprühregen, der alles im Nu durchnässt.
OK, denke ich, der Verstand hört auf das Bauchgefühl, dann komme ich halt erst morgen nach Sant'Anna, niemand zwingt mich, bei mir nicht koscheren Bedingungen eine Gewalttour durchzuziehen. Also setze ich mich wieder in den Gastraum, wo inzwischen Markus, Michael und Thomas frühstücken. Ich bestelle mir noch einen Americano, also Kaffee und heißes Wasser zum Verdünnen des hier generell sehr starken Grundstoffes, und setze mich dazu.
Markus erzählt, dass er schon von mir, dem Monaco- Mann, gehört hat, nämlich von den Bad Aiblingern, mit denen ich auf der Alpe Toglie war. Diese waren vorgestern in Sambucco angekommen, wo sich Markus mit ihnen unterhalten hat. Er kennt auch Bernd, den er vor Wochen in Campello Monti erstmals getroffen hat. Die Welt ist klein, vor allem hier auf der GTA.
Wir beschließen, nach Ende des Regenschauers zusammen nach Strepeis zu gehen. Beim Bezahlen bitten wir daher Oskar, für uns im örtlichen Albergo wegen einer "Prenotazione" anzurufen.
Eine halbe Stunde später treten wir vor die Hütte. Trotz Regenende ist der Himmel von dunklen Wolken durchzogen. Die Hütte spiegelt sich wieder im See, nur sieht nun auch der Himmel nach Schottland aus.
Eine knappe Stunde brauchen wir hinauf zum Passo di Laroussa und machen dort Pause. Inzwischen hat sich der Himmel auf blau gefärbt, was jedoch laut Wetterbericht nur ein zwischenzeitliches Phänomen bleiben soll.
Die Aussicht am Pass ist wie meistens durch die rechts und links aufragenden Felsen und Berge ziemlich eingeschränkt, jedoch sind wir der weiterhin im Hintergrund dominierenden Cima Argentera wieder etwas näher gerückt.
Markus bricht als erster auf, die Schweizer folgen bald, ich bleibe noch eine halbe Stunde sitzen und genieße die rauhe Berglandschaft um mich herum und komme ins Schwelgen:
Meine Laufrichtung Wien- Monaco und nicht umgekehrt war schon wegen der Schneesituation her logisch; nun stellt sich jedoch heraus, dass dieser Teil der GTA, etwa ab Balme oder der Besteigung des Rocciamelone, ein würdiges großes Finale der Alpenüberquerung bildet. Trotz großartiger Abschnitte wie beispielsweise Hochschwab, Dolomiten oder der südlichen Walliser Alpen bot kein Teil meiner Tour derartige Schauwerte in durchgängig hochalpinen Landschaften wie die Cottischen und die Seealpen.
Der Weg hinab ist ein Serpentinentanz durch Schotterfelder, bis unten kurz vor San Bernolfo wieder größere Vegetation in herbstlicher Ausprägung den Weg säumt.
San Bernolfo ist ein hübsches Bergdorf mit schönen alten Häusern, zwischen denen sich der Weg hindurchschlängelt.
Ein Wirtshaus gibt es auch, und hier treffe ich Markus wieder, der für eine Brotzeit eingekehrt ist. Ich leiste ihm bei einem Bier Gesellschaft. Das Gasthaus, das auch ein Posto Tappa umfasst, ist sehr originell und trotzdem stimmig eingerichtet; allein die Preisgestaltung könnte man mit Blick auf die GTA- Mitbewerber durchaus als sportlich bezeichnen.
Am Ortseingang steht eine rote Bank im XXXL-Format. Wir sind Spielkinder genug, um auf ihr herumzuklettern und uns gegenseitig zu fotografieren.
Strepeis liegt talauswärts, also wandern wir talab auf einem Forstweg. Über uns hatte länger ein Hubschrauber gekreist, die nun folgende Ruhe ist herrlich. Am Wegesrand formieren sich die Fliegenpilze in Gruppen; die Steinpilze sind schon lange abgeerntet, begegnen uns doch immer wieder Pilzesammler.
Etwas später stehen auf der Forststraße zwei Autos, einige Rettungskräfte und sammeln ihr Bergematerial wie Seile und Karabiner ein. Einer sieht uns an und ruft:"Marko!" Es stellt sich heraus, das zwei der Rettungsmänner die beiden Wirte der Gasthäuser aus Sambuco sind; dort hatte Markus vorgestern übernachtet und offensichtlich bleibenden Eindruck hinterlassen. Die beiden gehören zum Rettungsteam, das zusammen mit dem Hubschrauber einen Verletzten aus dem Berg geborgen hat, anscheinend ein Pilzesammler, der abgestürzt war. Sie unterhalten sich noch kurz mit Markus, dann wandern wir weiter.
Strepeis ist ein kleines Dorf, dass dem etwas größeren Dorf Bagni di Vinadio vorgelagert ist. Am kleinen Dorfplatz liegt das Albergo Strepeis, indem wir heute übernachten werden. Die Wirtin zeigt uns unsere einfachen Zimmer.
Wir legen unsere Rucksäcke ab und wandern ohne Last weiter Richtung Bagni, denn dort gibt es drei kleine Pools, die vom heißen Wasser der Thermalquelle gespeist werden und frei zugänglich sind. Die eigentliche Therme ist seit vielen Jahren geschlossen, durch einen Bauzaun ist erkennbar, dass sich vielleicht irgendwann hier wieder Kurbetrieb etablieren könnte.
Da wir nicht genau wissen wo die kleine Badeanlage ist, wollen wir beim örtlichen Campingplatz nachfragen. Kaum haben wir die Anlage betreten, erschallt ein lauter Ruf "Marco! " Wieder sind es Leute, die Markus in Sambucco kennengelernt hat, in diesem Fall Anna und Claudio aus Bergamo, die die Via Alpina von Triest an die Riviera überwiegend mit Zelt begehen und hier auf dem Campingplatz Freunde besuchen. Wir werden zu einem Glas Wein eingeladen, dass wir gerne annehmen, und haben eine lustige Viertelstunde, die in Italienisch, Englisch und einem minimalistischen Deutsch gestaltet wird. Markus muss sich anhören, dass er wohl der bekannteste Wanderer auf der GTA ist.
Zudem erhalten wir von dem Paar eine genaue Wegbeschreibung zu den Thermal- Pools. Als wir schließlich dort ankommen, haben sich einige Leute mit großen Hunden breit gemacht. OK, denken wir, schauen wir uns erstmal das Dorf Bagni di Vinadio an und kehren danach zurück. Gesagt getan: Das Dorf ist recht hübsch, und als wir nach 20 Minuten Sightseeing wieder an den Pools sind, sind diese leer. 
Nun können wir endlich in das heiße, nach Schwefel riechende Wasser steigen. Als große Überraschung zieht Markus zwei Bierflaschen aus seiner Tasche, mit denen wir im heißen Wasser anstoßen. Das ist wieder einmal echtes und stilvolles Genusswandern.
Wir halten es so lange im obersten heißen und zweitobersten etwas weniger heißen Wasser aus, bis sich die Regenwolken, die schon die ganze Zeit näher gerückt waren, bedrohlich über uns aufbauen. Ein paar Tropfen fallen, während wir uns anziehen, aber wir kommen trocken wieder zurück in unsere Pension. 
Hier gilt es jetzt erst einmal, den Schwefelgeruch aus der Badehose und dem Handtuch herauszubekommen. Es sind einige Waschgänge im Waschbecken erforderlich, damit das Ganze wieder einigermaßen erträglich riecht. Aber die ganze Aktion hat mächtig Spaß gemacht, und das heiße Wasser war zudem richtig erholsam.
Das Abendessen beginnt erst um 20 Uhr. Es schmeckt ganz ordentlich, kommt uns aber im Vergleich zu den sonst in den Albergos gereichten Dinner recht spartanisch vor, als wenn etwas fehlen würde. Aber es ist halt nicht überall gleich und vor allem nicht überall gleich gut.

Glück des Tages: Das stilvolle Bad im heißen Schwefelwasser

Gelaufen: 13,1 Kilometer
Bergauf: 405 Hm 
Bergab: 1.142 Hm  
Höchster Punkt: Passo di Laroussa (2.471m)
Übergänge: Passo di Laroussa
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...