Samstag, 27. August 2022

89. Tag: 21. August 2022 Ghigo di Prali - Rifugio Jervis

Zu meinem frühen Frühstück setzt sich Bernd dazu, der heute meine gestrige eher entspannte Tour nach Ghigo geht und eigentlich nicht so zeitig aufstehen müsste. Das freut mich sehr, und wir haben noch einmal eine sehr nette Dreiviertelstunde.
Nach Ghigo fährt mich nicht der Chef  sondern Simone, der junge Kellner. Da er jedoch recht gut Englisch spricht haben wir eine interessante Unterhaltung. Simones Hobby ist das Sammeln von Relikten aus dem Partisanenkrieg: Er sucht an vorher recherchierten Orten mit einem Metalldetektor; Fundstücke übergibt er dem örtlichen Museum. Ob er schon etwas Gefährliches gefunden habe, frage ich. Munition ist regelmäßig bei seinen Funden dabei, aber noch keine Granaten oder Bomben; "Fortunato" sagt er, Glück gehabt.
Am Sessellift in Ghigo verabschieden wir uns, und er wünscht mir einen guten Weg nach Monte Carlo; um Verwechslungen mit München zu vermeiden, dass auf Italienisch ja auch Monaco heißt, sage ich seit langem stets Monte Carlo.
Nach den vielen 'Außer der Reihe- Höhenmetern' in Fenestrelle erlaube ich mir heute eine Liftfahrt. Diese ist im Rother Wanderführer 'offizieller' Bestandteil der 39. GTA- Etappe - wahrscheinlich zum großen Entsetzen der By Fair Means- Puristen. Da im gleichen Führer von einer einzigartigen Monte Rosa- Sicht an der Bergstation die Rede ist, fiel mir die Entscheidung zur Liftfahrt jedoch nicht allzu schwer. 
Der Sessellift ist im übrigen ein Symbol für den nicht stattgefundene Ski- Boom in Ghigo di Prali. Man hatte hier in der Hoffnung auf Skibegeisterte aus dem nahen Turin kräftig investiert, auch in die vielen Appartmenthäuser im Ort. Aber es kam anders: Die kleine Straße hier herauf schreckte im Winter ab, andere Skigebiete in der Nähe wie Sestrière waren attraktiver. So fiel die Hausse aus, die Liftgesellschaft ging irgendwann bankrott, und die Bahn fährt erst seit einigen Jahren wieder.
Bei der Fahrt nach oben kann ich herrlich viele Murmeltiere beobachten, die sich unbeeindruckt von den Leuten über ihnen unter dem Lift in der Morgensonne tummeln.
Der Blick vom Aussichtspunkt ist dann wirklich phänomenal: Der Monte Rosa leuchtet in der Ferne wie ein Achttausender in Nepal. Es ist heute so klar, dass man sogar einzelne Gipfel erkennen kann.
Auch der Rocciamelone ist zum vielleicht letzten Mal prominent zu sehen, er wird bald im Meer der vielen Gipfel verschwinden.
Für mich geht der Weg in die andere Richtung; ich drehe dem Monte Rosa den Rücken zu und starte gen Süden in meinen heutigen Etappentag. Zunächst folge ich dem Wanderweg "Giro dei 13 Laghi"; wie der Name verspricht geht es bald an den ersten See heran.
Am zweiten See biege ich bereits wieder ab, passiere eine weitere Alpini- Kasernenruine und folge der GTA- Markierung auf eine gut erhaltene alte Militärstraße.
Eine gute halbe Stunde später stehe ich auf dem Colle Giulian. Vor mir ragt der Monte Viso markant in den Himmel. Ich bin dem Giganten inzwischen ein gutes Stück näher gekommen.
Während meiner halbstündigen Pause an der Passhöhe umgibt sich der Berg jedoch zügig mit Wolken und ist danach nicht mehr zu sehen. Dies ist ein für den Monte Viso typisches Phänomen; ich habe heute einfach Glück gehabt, dass ich ihn gesehen habe.
Nach einem Steilstück geht es über Almwiesen bergab bis zu einer Almstraße,  der ich nun über viele Kilometer folgen werde. 
Zunächst führt sie fast eben am Hang entlang mit herrlichen Ausblicken auf die Tiefebene.
Den Abstieg ins Valle Pellice absolviert die Straße dann in einer absurd anmutenden Abfolge von Serpentinen und Kehren.
Nur im unteren Teil kann ich der Schotterstraße über Abkürzungen entfliehen, am Parkplatz ganz unten hat mich die staubige Piste aber wieder und erreicht schließlich das im Talgrund liegende Villanova.
Die Schlussphase des heutigen Tages hinauf zum Rifugio Jervis kann man entweder auf einer weiteren öden Schotterpiste absolvieren oder über einen etwas zeitintensiveren kleinen Steig auf der anderen Seite des Baches.
Dieser bietet neben einem spannenderen Geläuf schöne Blicke auf die vielen Wasserfälle ein echtes Schmankerl: Eine Höhle mit schon am Eingang so niedrigen Temperaturen, dass einem der Atem sichtbar wird.
Eine Stunde später habe ich das an der Alm- Hochebene Conca del Prà gelegene Rifugio Jervis erreicht.
Ich bekomme einen großen Schlafsaal zugewiesen, in den nur noch der kurz nach mir eintreffende Benoit aus Marseille einzieht
Zum Abendessen gibt es Live- Musik von einer sehr guten dreiköpfigen Jazzband. So etwas habe ich noch nie erlebt; und die Musik unterscheidet sich höchst wohltuend von der insbesondere in Österreich doch gelegentlich zu hörenden Lederhosen-Dudelei. 
Zusammen mit Benoit und mir sitzen noch François, Victor und Henry aus Rennes am Tisch beim Abendessen. Auf Englisch parlierend wird dies wieder einmal ein lustiger Abend.

Glück des Tages: Wieder die Aussicht auf Monte Rosa und Viso.

Gelaufen: 22,8 Kilometer
Bergauf: 846 Hm 
Bergab: 1.560 Hm  
Höchster Punkt: Colle Giulian (2.457m)
Übergänge: Colle Giulian
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...