Freitag, 29. Juli 2022

64. Tag: 27. Juli 2022 Carcoforo - Rima

Auch für das Frühstück reißen sie sich kein Bein aus im Albergo Alpenrose. Traurig sind wir daher nicht, als wir die Rucksäcke aufziehen.
Der Alpenvereins- Wetterbericht ist für heute grundsätzlich pessimistisch und sagt für die Piemontesischen Alpen schon ab Vormittag Schauer und später Gewitter voraus. Jedoch hat Alex, der neben Bergwandern auch Gleitschirmfliegen zu seinen Hobbys zählt, eine spezielle App, die für unsere Region erst am Nachmittag Niederschläge prognostiziert. 
Jetzt um 8 Uhr ist es noch sonnig, nur an einigen Bergen kleben wieder die Wolken.
Wir laufen am Dorfkern vorbei und eine Teerstraße bergauf, bis die GTA von dieser abzweigt und hinter einer Brücke der Aufstieg beginnt.
Inzwischen sind die Alpenrosen verblüht und die Vogelbeeren gereift, die Natur zeigt mir an, wie lange ich schon unterwegs bin.
Der Weg führt zwar einen steilen Hang hinauf, jedoch ist er von unten bis fast oben in endlosen Serpentinen mit weitgehend gleichbleibender Steigung angelegt. Dadurch bestehen die nächsten beinahe drei Stunden aus einem fortwährend Richtungswechsel zwischen mal längeren mal kürzeren Geradeaus- Abschnitten. So monoton der Weg - abgesehen von einigen Almgebäuden unterwegs - ist, so schön ist der Rückblick auf den gestrigen Abstieg, der sich vom Colle d'Egua bis hinunter nach Carcoforo komplett überblicken lässt.
Nach etwas über tausend Höhenmetern ist der Colle del Termo erklommen. Er liegt in einer grasigen Scharte zwischen hohen Bergen rechts und links. Hier machen wir Pause und schauen hinunter ins nächste Tal auf die Häuser von Rima. Am Gegenhang ist wieder der morgige Übergang erkennbar, der nach Alagna hinüberführt.
Für den Abstieg weiß ich zunächst nicht, wie es den von mir gähnenden Steilgrashang hinuntergehen soll, die Hangneigung ist schlicht atemberaubend. Nach einigen Schritten zeigt sich jedoch, dass der Wanderweg auch hier akurat Kehre um Kehre aufweist, die sich den Hang hinunterwinden. Ich gehe das ganze langsam an und nehme ohne Hast Kurve um Kurve.
Etwas weiter unten führt der Steig in den Bergwald, und auf dem Waldboden sind die Serpentinen deutlich angenehmer zu laufen.
Schon ziemlich weit unten komme ich dann an einer Kehre liegenden Sennerhütte vorbei. Hier schlagen sofort mehrere große Hunde an. Außer den Tieren scheint niemand da zu sein. Sind es die berüchtigten hiesigen Hütehunde? Zum Glück sind die wilden Beller allesamt angebunden. Der einzige freilaufende Hund ist ebenfalls groß, jedoch schweigsam, legt den Kopf auf die Seite und schaut mich interessiert an, unbeeindruckt vom wilden Gebaren seiner Kollegen. OK, ich muss da vorbei; also versuche ich, so weit entfernt wie möglich an Hütte und Hund vorbeizukommen, ohne ihm den Rücken zuzuwenden, aber auch ohne ihn anzuschauen. Das klappt gut, und ich bin recht erleichtert, als ich die Hundemeute hinter mir lassen kann.
An einer Lichtung treffe ich kurz darauf Karin und René wieder, die hier pausieren, und sich schon gedacht hatten, das die unüberhörbaren Hunde mich anbellen. 
Wir gehen nun den Rest des Weges hinunter zusammen. Kurz bevor der Weg den Ort erreicht, bietet sich wie gestern ein schöner Blick über die Dächer und Gebäude. Auch Rima ist ein hübsches Dorf, jedoch mit größeren Häusern als Carcoforo.
Am Dorfplatz neben der Kirche liegt das örtliche Gasthaus mit Terrasse, und da der Regen sich weiterhin Zeit lässt, setzen wir uns an einen freien Tisch auf ein Radler beziehungsweise Kaffee. Die beiden übernachten hier, ich habe mir meine Schlafgelegenheit im Albergo Tagliaferro, einige Schritte weiter, reserviert. Aber das hat Zeit, wir genießen ersteinmal den heutigen Wanderfeierabend.
Für Karin und René läutet so langsam das Ende ihrer Tour ein. Ihr eigentlicher Plan war es, morgen noch nach Alagna zu gehen und dann mit Bus und Bahn via Mailand die Heimreise an der Zürichsee anzutreten. Alternativ hatte ich Ihnen den Monto Moro- Pass vorgeschlagen, über den sie zu Fuß von Alagna über Macugnaga hinüber ins Tal von Saas Fee gelangen könnten. Und in einem Gespräch hier auf der Terrasse mit einem einheimischen Bergfex ergibt sich sogar eine Möglichkeit, direkt von Rima aus in einem langen Tag nach Macugnaga zu kommen. Das würde ihnen einen Tag Umweg ersparen und ist nun ihr Plan für morgen, so dass wir unversehens heute den letzten Tag zusammen haben. Wir verabreden uns auf ein Bier vor dem Abendessen, dann beziehen wir unsere Unterkünfte.
Das Albergo Tagliaferro erweist sich als das größte Haus des Dorfes, jedoch scheint nur ein Stockwerk für den Gastbetrieb genutzt zu werden. Auf mein "Buona Sera" hin begrüßt mich Giovanna; die Wirtin im Seniorenalter wirkt freundlich, aber etwas kühl und steif. Mein Zimmer ist recht groß, der Platz wird jedoch weitgehend von zwei riesigen fast antik wirkenden Bettgestellen eingenommen; das Bad ist dagegen modern möbliert.
Nach Duschen und Waschen gehe ich wieder hinüber zum Gasthaus, wo neben Karin und René auch Carmela und Alex sitzen. Die beiden schlafen, wie sich schnell herausstellt, zu meiner Freude auch im Tagliaferro. Es ist noch einmal eine gemütliche Stunde, die wir hier beieinander sitzen, dann wünschen wir uns gegenseitig alles Gute; der Abschied gehört zum Fernwandern leider dazu.
Im Tagliaferro sind nur Carmela, Alex und ich zu Gast und sitzen an einem Tisch im Speisezimmer. Das Essen ist gut, jedoch nicht allzu reichlich, was ich nach Kräften über das Beilagenbrot zu kompensieren versuche.

Glück des Tages: Tausend Höhenmeter rauf zum Pass des Tages, das tägliche Geschäft hier auf der GTA, sind inzwischen kein größeres Hindernis mehr.

Gelaufen: 12,3 Kilometer 
Bergauf: 1.031 Hm  
Bergab:  904 Hm   
Höchster Punkt: Colle del Termo (2.351m) 
Übergänge: Colle del Termo
Gipfel: keine

Donnerstag, 28. Juli 2022

63. Tag: 26. Juli 2022 Alpe Baranca - Carcoforo

Um 7 Uhr versammeln wir uns alle wieder am Tisch zum Frühstück, wieder hat die Wirtin reichlich aufgedeckt.
Bei unserem Start ist vom gestrigen Unwetter nichts mehr zu spüren. Keine Wolke am Himmel, und die Luft ist herrlich frisch.
Hinter der Alpe geht der ausgebaute Saumweg in zwei langen Serpentinen weiter hinauf zum obersten Teil des Tales, dabei wird eine kleine Steilstufe mit Wasserfall überwunden.
Oben angekommen geht es direkt an einem kleinen See entlang und zu einer etwas oberhalb gelegenen hübschen Alpe Selle, einer kleinen Almsiedlung mit Brunnen.
Zudem stehen hier die Überreste einer Kuriosität: Der Autokonstrukteur Vincenzo Lancia baute sich hier in der alpinen Einsamkeit einen kleinen Landsitz, die Villa Aprilla, als Sommerfrische. Man fragt sich, wie es möglich war, Bau und später Unterhalt des Hauses allein über den Saumweg zu bewerkstelligen. 1944 zerstörten deutsche Truppen die Villa, wohl damit sich dort keine Partisanen einnisten konnten.
Die GTA zweigt etwas vor der Ruine ab und führt in einem weiten Bogen über Almwiesen dem Colle d'Egua entgegen. Ein paar Kühe bimmeln heute morgen in der Ferne, und eine ganz vorwitzige Kuh steht auf einmal vor mir mitten auf dem an dieser Stelle engen Weg und schaut mich an. Als ich näher komme macht sie zunächst keine Anstalten, auszuweichen; erst als ich ganz dicht bei ihr bin und mit ihr rede, trollt sie sich.
Eine kurze steilere Geländestufe geht es noch hinauf, dann bin ich oben.
Der Colle d'Egua ist angeblich einer der besten Aussichtspunkte auf den Monte Rosa auf der ganzen GTA. Ich kann das weder bestätigen noch verneinen, denn als ich um 20 nach 9 oben bin, ist das ganze Massiv in Wolken gehüllt. Sehr schade. Wieder zeigt nur die Peakfinder-App, was sich in den Wolken verbirgt.
Auch der hier mögliche Rückblick auf den inzwischen fernen Piz Bernina ist von Dunst und Wolken verhüllt. So bleibt als Aussicht nur der Blick auf die umliegenden unbekannten Berge und auf die Aufstiegsroute zum morgigen Pass.
Ein drahtiger älterer Herr mit großem Rucksack ist von Carcoforo heraufgekommen. Er ist, wie er erzählt, auf dem Sentiero Italia unterwegs. Ein 6.000 Kilometer- Projekt, das ihn durch den italienischen Alpenbogen und den Apenin auch nach Sizilien und Sardinien führt; sehr beeindruckend, auch weil das Fernwandern im Apenin ganz andere Anforderungen stellt als das auf der GTA. Meine Wien- Monaco- Tour findet er aber auch ein "progetto eccezionale". Nach kurzer Pause wandert er auf unserer Aufstiegsroute weiter.
Während der Lübecker sowie Carmela und Alex bald Richtung Carcoforo aufbrechen, steigen Karin, René und ich noch auf den Il Cimone, einen kleinen Gipfel über dem Pass. Die Rucksäcke lassen wir unten, und so habe ich den Eindruck, mit weniger Schwerkraft unterwegs zu sein, so wie auf dem Mond. 
Von oben können wir bald eine große Schafherde erkennen, die auf der Carcoforo- Seite heraufgetrieben wird. Bevor die Tiere unsere vom Schweiß salzigen Rucksäcke entdecken, steigen wir schnell wieder ab.
Nachdem wir die Prozession der Schafe vorbeigelassen haben, wenden wir uns auch Richtung Carcoforo. Der Abstieg durch ein immer breiter werdendes Tal führt durch Almgebiete, die sich von oben bis fast nach ganz unten erstrecken. 
Als es erstmals seit dem Mastellonetal wieder Handynetz gibt, setze ich mich auf einen großen Stein und telefoniere mit Houston Mission Control.
Oberhalb von Carcoforo geht es noch kurz durch Wald, aber dieser öffnet sich an einer kleinen Kapelle, dort bietet sich ein schöner Blick auf das Dorf.
Dieses ist beim Wandern durch seine Gassen genauso hübsch wie von oben. 
Das Albergo Alpenrose dagegen ist eher einfacher Natur. Zudem: Ich bekomme einen Schlafplatz im Lager. Ein Tausch in ein Zimmer ist nicht möglich; der freundliche Mitarbeiter des Albergo fragt beim Chef nach, aber der schüttelt den Kopf, obwohl das Haus halb leer ist. Zumindest bin ich in dem Schlafsaal alleine mit Carmela und Alex, so können wir uns gut verteilen. Überhaupt scheint die GTA momentan relativ dünn frequentiert, in unsere Richtung sind nur wir in Carcoforo angekommen.
Der Mitarbeiter reserviert für mich die Schlafplätze für morgen und übermorgen; das ist ein Service der GTA- Unterkünfte, den ich sehr gerne in Anspruch nehme.
Beim Abendessen sitzen wir wieder alle zusammen, nur der Lübecker ist irgendwo anders untergekommen. Nach den Genüssen der letzten Abende ist das heutige Essen - genau wie das Albergo insgesamt- recht lieblos. Dass mir einer der drei Gänge geschmeckt hätte kann ich nicht behaupten, eigentlich habe ich schon lange nicht mehr so wenig Gefallen an einem Essen gefunden.

Glück des Tages: Der Aufstieg unter besten Wanderbedingungen hinauf zum Colle d'Egua.

Gelaufen: 12,1 Kilometer 
Bergauf: 871 Hm  
Bergab:  1.145 Hm   
Höchster Punkt: Il Cimone (2.451m) 
Übergänge: Colle d'Egua
Gipfel: Il Cimone

Mittwoch, 27. Juli 2022

62. Tag: 25. Juli 2022 Rimella Chiesa - Alpe Baranca

Das üppige Abendessen lag mir in der Nacht erwartungsgemäß noch ziemlich lange schwer im Magen. So fehlen mir heute morgen doch einige Stunden Schlaf.
Das Frühstück hier im Albergo Fontana ist ähnlich liebevoll angerichtet wie gestern das Abendessen. Es gibt leckeren Almkäse, Obst, Joghurt und einen leckeren Kuchen. Am Nebentisch sitzen Karin und René aus der Schweiz. Sie gehen in den kommenden Tagen den gleichen Weg wie ich und übernachten heute auch auf der Alpe Baranca. Bei dieser hatte gestern auf meine Bitte hin die Englisch sprechende Mitarbeiterin des Albergos angerufen und für mich einen Schlafplatz reserviert.
Das Albergo Fontana verlasse ich heute wirklich ungern, ich habe mich hier freundlich aufgenommen und sehr wohl gefühlt. Und noch eine Überraschung: Die Rechnung wird von der Chefin persönlich am Ende noch nach unten korrigiert, weil ich ja so eine "camera piccola" hatte.
Heute ist es schon in der Früh ziemlich schwül, und dicke Wolken haben sich bereits an der Bergkämmen festgesetzt.
Der Wandertag auf der GTA beginnt mit einem Abstieg hinab ins Tal und auf der anderen Seite direkt wieder steil hinauf. Wie Adlerhorste kleben hier kleine Dörfer am Hang, mit der Außenwelt nur über diesen Fußweg und mittels kleiner Materialseilbahnen verbunden. Dass hier kaum noch jemand wohnt und vieles zugesperrt oder bereits im Verfallen begriffen ist, ist nachvollziehbar; im Gegenteil freut man sich über jedes bewohnte Haus, an dem man vorbeiwandert.
400 Höhenmeter aufwärts durch schattigen Wald später tritt der Weg unterhalb des Kamms in die Sonne. Oben liegt der Weiler La Res, jenseits des Tals ist noch einmal Rimella Chiesa gut zu sehen. 
Dahinter geht es gleich wieder hinab ins nächste Tal. Belvedere heißt hier ein Dorf am Hang nicht ohne Grund, kann man doch schön ins Mastellonetal hinunterschauen. Auch auf dieser Bergseite liegen viele Dörfer, die nur Seilbahnanschluss haben. 
Die GTA führt mich steil hinunter bis zur Talstraße, der ich nun flussaufwärts folgen muss.
Ich komme an einigen schönen Steinbrücken vorbei, bis ich in Santa Maria das oberste Dorf des Tals erreicht habe.
Hinter den Häusern habe ich Karin und René eingeholt, die es sich gerade an einem schönen Badeplatz gemütlich machen. Nacheinander erfrischen wir uns nun im kalten Wasser, nach anfänglicher Überwindung ist das bei der heutigen Schwüle herrlich.
Als wir wieder zusammenpacken, verschwindet die Sonne hinter den Quellwolken und es fallen sogar ein paar Regentropfen. Aber danach meldet sie sich erst einmal wieder zurück.
Wir steigen nun auf einem mit großen Steinen ausgebauten Saumpfad weiter das Tal hinauf. Hatte die Landschaft heute über weite Strecken fast Mittelgebirgs- Charakter, zeigen die hohen Berge rechts und links des schmaler werdenden Tals nun wieder eindeutig alpines Panorama.
Anderthalb Stunden nach der Badepause erreichen wir die etwas unterhalb des Weges gelegene Alpe Baranca.
Hier werden wir herzlich von der Wirtin empfangen. Unter einer großen Markise machen wir es uns bequem, René und ich trinken ein Feierabendbier. Viele Gäste sind heute nicht hier; außer uns noch Carmela und Alex, ein junges Schweizer Pärchen, das ich auch schon in Rimella gesehen hatte,  später kommt aus Richtung Carcoforo noch ein junges französisches Pärchen dazu, dass witzigerweise aus Sospel stammt, meinem vorletzten Übernachtungsort im Hinterland der Côte d'Azur.
Dann fängt es an zu regnen und steigert sich in einen stundenlangen Wolkenbruch. Dies lässt sich unter der Markiese ganz gut aushalten, ein junger GTA-Wanderer aus Lübeck, der am frühen Abend noch aus dem Tal heraufkommt, ist dagegen triefend nass.
Um 19 Uhr versammeln wir uns am Abendbrottisch. Dieser ist reich gefüllt mit herzhafter Almküche. 
Wir denken natürlich, dass dies das vollständige Abendessen ist, jedoch sind es 'nur' die Antipasti, die Wirtin tischt unter anderem noch große Schüsseln mit Pasta auf.
In unserer Runde entwickelt sich ein interessantes und intensives Gespräch das vom italienischen Kaffee bis zu den Unterschieden zwischen der deutschen beziehungsweise der schweizerdeutschen Sprache geht. Besonders interessant sind die Beiträge des aus dem Sudan stammenden Franzosen, der uns von den zu Europa völlig unterschiedlichen Kommunikationsformen in seiner Heimat erzählt, die zum Teil völlig Gegensätzliches bedeuten.
Der schöne Abend vergeht wie im Flug, "Neun Uhr ist Hikers Midnight" kommentiert der Lübecker trocken, als wir um viertel nach neun die Runde auflösen.

Glück des Tages: Erfrischungsbaden im kalten Wasser des Mastellone.

Gelaufen: 14,7 Kilometer 
Bergauf: 1.025 Hm  
Bergab:  605 Hm   
Höchster Punkt: Alpe Baranca (1.580m) 
Übergänge: keine
Gipfel: keine 

61. Tag: 24. Juli 2022 Forno - Rimella Chiesa

Beim Frühstück sitze ich wieder mit Astrid und Christian zusammen. Die beiden gehen heute nur bis Campello Monti und können sich ein wenig mehr Zeit lassen als ich.
Auch heute morgen klappt es nicht mit einem Anruf in Rimella; es sollte für eine Person aber kein Problem sein unterzukommen, meint Gianni.
Der heutige Weg führt mich schnell aus dem Dorf hinaus und sanft ansteigend taleinwärts. Leider haben hier ganze Geschwader von Bremsen nur auf mich gewartet und fallen nun über mich her wie die imperialen Sturmtruppen in STARWARS. Ich schlage zum Schutz den Hemdkragen hoch und erhöhe das Tempo. Das ist zusammen mit gefühlt Dutzender erschlagener Insekten einigermaßen effektiv, jedoch habe ich so kaum Muße, mir das schöne Tal anzuschauen.
Bei den Häusern von Piana di Forno hat der Spuk ein Ende, die Bremsen verschwinden so schnell wie sie gekommen sind. Auf schmalen Treppen geht es durch den Weiler. An einigen der alten Häuser werden heute Wände verputzt und Pflaster verlegt, schön, dass so zumindest Teile der alten Bausubstanz erhalten bleiben.
Irgendwo hier verpasse ich die Weiterführung des Wanderweges, und ich lande auf der am Hang trassierten schmalen Straße. Das ist jedoch kein Problem, da es nicht mehr weit ist bis Campello Monti. Vor einem winzigen Friedhof mit schmiedeeisernem Gittertor befindet sich ein Brunnen, an dem ich Wasser trinken und die Flaschen befüllen kann.
Kurz darauf bin ich in Campello Monti. Hier endet die Straße in einen Parkplatz, der heute am Sonntag gut genutzt wird.
Das alte Walserdorf ist ein echtes Kleinod. Zwar stehen viele der alten Häuser leer, andere sind jedoch bewohnt; zusammen mit der kleinen Kirche ergibt sich so ein pittoreskes Ensemble mit dem ganzen Charme italienischer Bergdörfer.
Heute gibt es hier keine ganzjährigen Bewohner mehr. Der letzte starb 1980; im Winter wurde damals regelmäßig per Hubschrauber kontrolliert, ob er noch lebt. Das große Schulhaus zeigt jedoch deutlich, wie viele Menschen hier früher gelebt haben müssen.
Für mich hat noch etwas anderes große Bedeutung: In Campello Monti biege ich auf die GTA ein und stehe, ähnlich wie beim Nordalpenweg oder beim Karnischen Höhenweg vor einiger Zeit, mit einer gewissen Ehrfurcht vor dem ersten Schild des großen Fernwanderwegs.
Wochen werde ich ihm nun folgen, bis ich in Chiappera, schon ganz weit im Süden, schließlich nach Frankreich wechsle.
Heute geht es jedoch erstmal auf einem mit großen Blöcken befestigten Steig aus dem Dorf hinaus, auf das ich noch einige Zeit zurückschauen kann.
Über mehrere Almböden wandere ich bergauf der bald weit über mir sichtbaren Boccetta di Campello entgegen, dem Übergang nach Rimella. Einige Almhütten stehen hier oben, ein wenig Kuhglocken- Geläut ist zu hören, ein Wanderer kommt mir entgegen, ansonsten ist es völlig einsam. 
Das ändert sich am Pass. Hier sitzen einige Leute, und von der anderen Seite kommt später eine größere Wandergruppe herauf. Ich komme mit einem Paar aus Padua ins Gespräch, die in der Gegenrichtung von Rimella nach Campello Monti unterwegs sind. Er war beruflich einige Male in Düsseldorf und kann sich vor allem an den breiten Rhein erinnern.
Vom Monte Rosa, der hier in ganzer Pracht vor einem steht, ist in den wilden Quellwolken wieder nichts zu erkennen. Schade, aber ich bin der letzte, der sich über das Wetter beklagt. So schaue ich in meine Peakfinder-App und denke mir die Gletscherberge ins Panorama hinzu.
Dann steige ich hinab ins Tal von Rimella. An der malerischen Alpe Pianello geht es vorbei, von der, so habe ich es heute früh in Forno von einem älteren Herrn gehört, sogar schon das australische Fernsehen einen Bericht gemacht hat. 
Eine knappe Stunde später bietet sich eine malerische Sicht auf die Häuser von San Gottardo, einer der klassischen Ausblicke dieses Teils der GTA.
Dann geht der Weg über in einen offensichtlich frisch in den Hang hinein gefrästen Almfahrweg, der auf meiner Online- Karte noch nicht verzeichnet ist. Mangels anderer plausibler Abzweigungen folge ich ihm, entferne mich dadurch jedoch von meinem GPS- Track. Nach einem Waldstück treffe ich dann auf einen eingezeichneten Querweg, der nach Rimella führen sollte. In diesen Steig biege ich ein und gelange nach einer weiteren halben Stunde nach tatsächlich in den Ortsteil Chiesa, in dem das Albergo Fontana steht. Irgendwelche Beschilderungen, vorher des öfteren vorhanden, habe ich nicht mehr gesehen.
Mit dem Gang durch das Dorf von der Kirche hinab zum Albergo steigt die Spannung: Bekomme ich in dieser legendären und für ihr Essen berühmten GTA- Unterkunft einen Schlafplatz?
Die ältere Frau an der Theke versteht mich nicht und ich sie nicht, sie ruft aber gleich eine junge Frau herbei, die Englisch spricht. Das Telefon sei tot, sagt sie, weil die Leitung vor einigen Tagen von einem Gewitter beschädigt worden sei. Ja, ein Zimmer könne ich bekommen, ich müsse nur noch ein wenig warten; ob ich bei einem Getränk nicht auf der Terrasse Platz nehmen wolle? Natürlich, ich wähle Sprudel und setze mich draußen in den Schatten.
Es mag nun wohl eine Stunde gedauert haben bis sich etwas tut, ich nutze die Zeit zum Blog- Schreiben, immerhin bin ich einige Tage im Verzug. Dann werde ich in ein reizendes kleines Zimmer geführt, das Ausblick auf die hübsche Kirche hat. Damit war nicht unbedingt rechnen, entsprechend bin ich sehr glücklich über diese Entwicklung.
Abendessen beginnt um 20 Uhr, das wird mir noch gesagt; ziemlich spät, aber was will man machen?
Ich schreibe weiter am Blog, auch wenn hier und sehr wahrscheinlich auch in den nächsten Tagen kaum genügend Netz zum Hochladen gegeben sein wird. Um 18 Uhr spielen die Kirchenglocken ein schönes Glockenspiel, danach drehe ich eine kurze Besichtigungsrunde durch das Dorf. Die Kirche, die vorhin verschlossen war, ist jetzt offen, jedoch findet gerade ein Gottesdienst statt, da möchte ich als Fremder nicht stören.
Das Abendessen findet im großen Speisesaal statt, und es ist wie bereits in mehreren anderen Blogs beschrieben lecker und äußerst üppig. Größere, kleinere und ganz kleine Gänge wechseln sich ab. Einschließlich des Grappas werden es am Ende 12 - in Worten zwölf - einzelne Gänge sein. Entsprechend kugelrund gehe ich dann um halb 12 ins Bett.

Glück des Tages: Das wunderschöne Dorf Campello Monti.

Gelaufen: 15,9 Kilometer 
Bergauf: 1.028 Hm  
Bergab:  783 Hm   
Höchster Punkt: Boccetta di Campello (1.924m) 
Übergänge: Boccetta di Campello
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...