Donnerstag, 28. Juli 2022

63. Tag: 26. Juli 2022 Alpe Baranca - Carcoforo

Um 7 Uhr versammeln wir uns alle wieder am Tisch zum Frühstück, wieder hat die Wirtin reichlich aufgedeckt.
Bei unserem Start ist vom gestrigen Unwetter nichts mehr zu spüren. Keine Wolke am Himmel, und die Luft ist herrlich frisch.
Hinter der Alpe geht der ausgebaute Saumweg in zwei langen Serpentinen weiter hinauf zum obersten Teil des Tales, dabei wird eine kleine Steilstufe mit Wasserfall überwunden.
Oben angekommen geht es direkt an einem kleinen See entlang und zu einer etwas oberhalb gelegenen hübschen Alpe Selle, einer kleinen Almsiedlung mit Brunnen.
Zudem stehen hier die Überreste einer Kuriosität: Der Autokonstrukteur Vincenzo Lancia baute sich hier in der alpinen Einsamkeit einen kleinen Landsitz, die Villa Aprilla, als Sommerfrische. Man fragt sich, wie es möglich war, Bau und später Unterhalt des Hauses allein über den Saumweg zu bewerkstelligen. 1944 zerstörten deutsche Truppen die Villa, wohl damit sich dort keine Partisanen einnisten konnten.
Die GTA zweigt etwas vor der Ruine ab und führt in einem weiten Bogen über Almwiesen dem Colle d'Egua entgegen. Ein paar Kühe bimmeln heute morgen in der Ferne, und eine ganz vorwitzige Kuh steht auf einmal vor mir mitten auf dem an dieser Stelle engen Weg und schaut mich an. Als ich näher komme macht sie zunächst keine Anstalten, auszuweichen; erst als ich ganz dicht bei ihr bin und mit ihr rede, trollt sie sich.
Eine kurze steilere Geländestufe geht es noch hinauf, dann bin ich oben.
Der Colle d'Egua ist angeblich einer der besten Aussichtspunkte auf den Monte Rosa auf der ganzen GTA. Ich kann das weder bestätigen noch verneinen, denn als ich um 20 nach 9 oben bin, ist das ganze Massiv in Wolken gehüllt. Sehr schade. Wieder zeigt nur die Peakfinder-App, was sich in den Wolken verbirgt.
Auch der hier mögliche Rückblick auf den inzwischen fernen Piz Bernina ist von Dunst und Wolken verhüllt. So bleibt als Aussicht nur der Blick auf die umliegenden unbekannten Berge und auf die Aufstiegsroute zum morgigen Pass.
Ein drahtiger älterer Herr mit großem Rucksack ist von Carcoforo heraufgekommen. Er ist, wie er erzählt, auf dem Sentiero Italia unterwegs. Ein 6.000 Kilometer- Projekt, das ihn durch den italienischen Alpenbogen und den Apenin auch nach Sizilien und Sardinien führt; sehr beeindruckend, auch weil das Fernwandern im Apenin ganz andere Anforderungen stellt als das auf der GTA. Meine Wien- Monaco- Tour findet er aber auch ein "progetto eccezionale". Nach kurzer Pause wandert er auf unserer Aufstiegsroute weiter.
Während der Lübecker sowie Carmela und Alex bald Richtung Carcoforo aufbrechen, steigen Karin, René und ich noch auf den Il Cimone, einen kleinen Gipfel über dem Pass. Die Rucksäcke lassen wir unten, und so habe ich den Eindruck, mit weniger Schwerkraft unterwegs zu sein, so wie auf dem Mond. 
Von oben können wir bald eine große Schafherde erkennen, die auf der Carcoforo- Seite heraufgetrieben wird. Bevor die Tiere unsere vom Schweiß salzigen Rucksäcke entdecken, steigen wir schnell wieder ab.
Nachdem wir die Prozession der Schafe vorbeigelassen haben, wenden wir uns auch Richtung Carcoforo. Der Abstieg durch ein immer breiter werdendes Tal führt durch Almgebiete, die sich von oben bis fast nach ganz unten erstrecken. 
Als es erstmals seit dem Mastellonetal wieder Handynetz gibt, setze ich mich auf einen großen Stein und telefoniere mit Houston Mission Control.
Oberhalb von Carcoforo geht es noch kurz durch Wald, aber dieser öffnet sich an einer kleinen Kapelle, dort bietet sich ein schöner Blick auf das Dorf.
Dieses ist beim Wandern durch seine Gassen genauso hübsch wie von oben. 
Das Albergo Alpenrose dagegen ist eher einfacher Natur. Zudem: Ich bekomme einen Schlafplatz im Lager. Ein Tausch in ein Zimmer ist nicht möglich; der freundliche Mitarbeiter des Albergo fragt beim Chef nach, aber der schüttelt den Kopf, obwohl das Haus halb leer ist. Zumindest bin ich in dem Schlafsaal alleine mit Carmela und Alex, so können wir uns gut verteilen. Überhaupt scheint die GTA momentan relativ dünn frequentiert, in unsere Richtung sind nur wir in Carcoforo angekommen.
Der Mitarbeiter reserviert für mich die Schlafplätze für morgen und übermorgen; das ist ein Service der GTA- Unterkünfte, den ich sehr gerne in Anspruch nehme.
Beim Abendessen sitzen wir wieder alle zusammen, nur der Lübecker ist irgendwo anders untergekommen. Nach den Genüssen der letzten Abende ist das heutige Essen - genau wie das Albergo insgesamt- recht lieblos. Dass mir einer der drei Gänge geschmeckt hätte kann ich nicht behaupten, eigentlich habe ich schon lange nicht mehr so wenig Gefallen an einem Essen gefunden.

Glück des Tages: Der Aufstieg unter besten Wanderbedingungen hinauf zum Colle d'Egua.

Gelaufen: 12,1 Kilometer 
Bergauf: 871 Hm  
Bergab:  1.145 Hm   
Höchster Punkt: Il Cimone (2.451m) 
Übergänge: Colle d'Egua
Gipfel: Il Cimone

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...