Freitag, 29. Juli 2022

64. Tag: 27. Juli 2022 Carcoforo - Rima

Auch für das Frühstück reißen sie sich kein Bein aus im Albergo Alpenrose. Traurig sind wir daher nicht, als wir die Rucksäcke aufziehen.
Der Alpenvereins- Wetterbericht ist für heute grundsätzlich pessimistisch und sagt für die Piemontesischen Alpen schon ab Vormittag Schauer und später Gewitter voraus. Jedoch hat Alex, der neben Bergwandern auch Gleitschirmfliegen zu seinen Hobbys zählt, eine spezielle App, die für unsere Region erst am Nachmittag Niederschläge prognostiziert. 
Jetzt um 8 Uhr ist es noch sonnig, nur an einigen Bergen kleben wieder die Wolken.
Wir laufen am Dorfkern vorbei und eine Teerstraße bergauf, bis die GTA von dieser abzweigt und hinter einer Brücke der Aufstieg beginnt.
Inzwischen sind die Alpenrosen verblüht und die Vogelbeeren gereift, die Natur zeigt mir an, wie lange ich schon unterwegs bin.
Der Weg führt zwar einen steilen Hang hinauf, jedoch ist er von unten bis fast oben in endlosen Serpentinen mit weitgehend gleichbleibender Steigung angelegt. Dadurch bestehen die nächsten beinahe drei Stunden aus einem fortwährend Richtungswechsel zwischen mal längeren mal kürzeren Geradeaus- Abschnitten. So monoton der Weg - abgesehen von einigen Almgebäuden unterwegs - ist, so schön ist der Rückblick auf den gestrigen Abstieg, der sich vom Colle d'Egua bis hinunter nach Carcoforo komplett überblicken lässt.
Nach etwas über tausend Höhenmetern ist der Colle del Termo erklommen. Er liegt in einer grasigen Scharte zwischen hohen Bergen rechts und links. Hier machen wir Pause und schauen hinunter ins nächste Tal auf die Häuser von Rima. Am Gegenhang ist wieder der morgige Übergang erkennbar, der nach Alagna hinüberführt.
Für den Abstieg weiß ich zunächst nicht, wie es den von mir gähnenden Steilgrashang hinuntergehen soll, die Hangneigung ist schlicht atemberaubend. Nach einigen Schritten zeigt sich jedoch, dass der Wanderweg auch hier akurat Kehre um Kehre aufweist, die sich den Hang hinunterwinden. Ich gehe das ganze langsam an und nehme ohne Hast Kurve um Kurve.
Etwas weiter unten führt der Steig in den Bergwald, und auf dem Waldboden sind die Serpentinen deutlich angenehmer zu laufen.
Schon ziemlich weit unten komme ich dann an einer Kehre liegenden Sennerhütte vorbei. Hier schlagen sofort mehrere große Hunde an. Außer den Tieren scheint niemand da zu sein. Sind es die berüchtigten hiesigen Hütehunde? Zum Glück sind die wilden Beller allesamt angebunden. Der einzige freilaufende Hund ist ebenfalls groß, jedoch schweigsam, legt den Kopf auf die Seite und schaut mich interessiert an, unbeeindruckt vom wilden Gebaren seiner Kollegen. OK, ich muss da vorbei; also versuche ich, so weit entfernt wie möglich an Hütte und Hund vorbeizukommen, ohne ihm den Rücken zuzuwenden, aber auch ohne ihn anzuschauen. Das klappt gut, und ich bin recht erleichtert, als ich die Hundemeute hinter mir lassen kann.
An einer Lichtung treffe ich kurz darauf Karin und René wieder, die hier pausieren, und sich schon gedacht hatten, das die unüberhörbaren Hunde mich anbellen. 
Wir gehen nun den Rest des Weges hinunter zusammen. Kurz bevor der Weg den Ort erreicht, bietet sich wie gestern ein schöner Blick über die Dächer und Gebäude. Auch Rima ist ein hübsches Dorf, jedoch mit größeren Häusern als Carcoforo.
Am Dorfplatz neben der Kirche liegt das örtliche Gasthaus mit Terrasse, und da der Regen sich weiterhin Zeit lässt, setzen wir uns an einen freien Tisch auf ein Radler beziehungsweise Kaffee. Die beiden übernachten hier, ich habe mir meine Schlafgelegenheit im Albergo Tagliaferro, einige Schritte weiter, reserviert. Aber das hat Zeit, wir genießen ersteinmal den heutigen Wanderfeierabend.
Für Karin und René läutet so langsam das Ende ihrer Tour ein. Ihr eigentlicher Plan war es, morgen noch nach Alagna zu gehen und dann mit Bus und Bahn via Mailand die Heimreise an der Zürichsee anzutreten. Alternativ hatte ich Ihnen den Monto Moro- Pass vorgeschlagen, über den sie zu Fuß von Alagna über Macugnaga hinüber ins Tal von Saas Fee gelangen könnten. Und in einem Gespräch hier auf der Terrasse mit einem einheimischen Bergfex ergibt sich sogar eine Möglichkeit, direkt von Rima aus in einem langen Tag nach Macugnaga zu kommen. Das würde ihnen einen Tag Umweg ersparen und ist nun ihr Plan für morgen, so dass wir unversehens heute den letzten Tag zusammen haben. Wir verabreden uns auf ein Bier vor dem Abendessen, dann beziehen wir unsere Unterkünfte.
Das Albergo Tagliaferro erweist sich als das größte Haus des Dorfes, jedoch scheint nur ein Stockwerk für den Gastbetrieb genutzt zu werden. Auf mein "Buona Sera" hin begrüßt mich Giovanna; die Wirtin im Seniorenalter wirkt freundlich, aber etwas kühl und steif. Mein Zimmer ist recht groß, der Platz wird jedoch weitgehend von zwei riesigen fast antik wirkenden Bettgestellen eingenommen; das Bad ist dagegen modern möbliert.
Nach Duschen und Waschen gehe ich wieder hinüber zum Gasthaus, wo neben Karin und René auch Carmela und Alex sitzen. Die beiden schlafen, wie sich schnell herausstellt, zu meiner Freude auch im Tagliaferro. Es ist noch einmal eine gemütliche Stunde, die wir hier beieinander sitzen, dann wünschen wir uns gegenseitig alles Gute; der Abschied gehört zum Fernwandern leider dazu.
Im Tagliaferro sind nur Carmela, Alex und ich zu Gast und sitzen an einem Tisch im Speisezimmer. Das Essen ist gut, jedoch nicht allzu reichlich, was ich nach Kräften über das Beilagenbrot zu kompensieren versuche.

Glück des Tages: Tausend Höhenmeter rauf zum Pass des Tages, das tägliche Geschäft hier auf der GTA, sind inzwischen kein größeres Hindernis mehr.

Gelaufen: 12,3 Kilometer 
Bergauf: 1.031 Hm  
Bergab:  904 Hm   
Höchster Punkt: Colle del Termo (2.351m) 
Übergänge: Colle del Termo
Gipfel: keine

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...