Montag, 1. August 2022

65. Tag: 28. Juli 2022 Rima - Piode

Das Albergo Tagliaferro war früher das Grand Hotel von Rima; im Speisezimmer  hängt ein kleines Bild von damals. Das erklärt auch die Größe des Gebäudes. 
Heute sind nicht nur die Berge in Wolken, der Nebel reicht sogar ziemlich weit herunter. 
Der Wetterbericht hat für heute einen ähnlichen Wortlaut wie der gestrige, die Spezialapp von Alex zeigt jedoch Regen frühestens um 14 Uhr an.
Das Dorf scheint um 8 Uhr noch wie ausgestorben, als ich nach einem kurzen Rundgang in die heutige GTA- Etappe einbiege, die nach erneut fast tausend Höhenmetern über den Colle Mud in die Touristenstadt Alagna führt.
Wieder geht es in vielen Kehren bergauf, die hier als Saumpfad befestigt sind.
Nach Überqueren der Baumgrenze schließen mich die Wolken ein, jedoch bleibt die Sicht auf Wege und Wegzeichen gut.
Ich passiere einige Almgebäude, die im Nebel auf einmal vor mir auftauchen. Sie sind in tadellosem Zustand, das war in den letzten Tagen nicht immer so.
Als ich um eine Kurve komme, steht auf einem Felsen vor mir ein Steinbock in prächtiger Pose; er ist jedoch genauso überrascht wie ich, hier im Nebel auf jemanden zu treffen, und springt sofort ab, bleibt dann jedoch etwa 40 Meter neben dem Weg stehen, so dass ich ihn fotographieren kann. So schön wie im ersten Augenblick stellt er sich freilich nicht mehr hin. 
Der Passübergang ist im Nebel nur an der kurz ins Waagerechte gehenden Wegtrassierung, einer kleinen Madonna und einem mit einem Wegzeichen bemalten Stein zu erkennen. Obwohl dies alles andere als ein gemütlicher Pausenplatz ist, bleibe ich 5 Minuten stehen und nehme den Rucksack ab. Nichts ist zu sehen oder zu hören, fast kein Wind; es fühlt sich an wie unter einer nebligen Glocke.
Zwanzig Minuten jenseits des Passes liegt das Rifugio Ferioli, an dem ich jedoch vorbeilaufe. Auf dieser Seite des Bergkammes sind die Wolken nicht so intensiv; der Nebel wird eher über den Pass geweht als dass er hier hängt. Weiter unten ist alles frei, Alagna tief im Tal scheint sogar in der Sonne zu liegen.
Der Abstieg ist äußerst unangenehm. Es geht über unzählige große und kleine Steine, die ein flüssiges Gehen unmöglich machen, jeder Schritt will überlegt sein. Weiter unten ist der Weg dann treppenartig ausgebaut, die Steinstufen haben mal große mal kleine Höhenunterschiede. Das geht so richtig auf die Knie und nervt irgendwann.
Die Almwiesen unterwegs sind die der Alpe Mud, deren Nutzung wurde schon vor über 1.000 Jahren urkundlich erwähnt. Dass die Almen hier 'Alpe' und nicht italienisch 'Malga' heißen, liegt daran, dass die Täler von den Walsern besiedelt waren und sind, die ihre eigene Sprache, das Walserdeutsch sprachen. Die Sprache dieses alemannischen Volksstammes, der von Savoyen bis ins Kleine Walsertal die Alpen besiedelte, ist inzwischen weitgehend verstummt, es gibt die Walser aber weiterhin, die ihre Kultur, Tradition - und Flurnamen - bewahren.
In Pedemonte, ganz unten im Talgrund, stehen einige schmucke Walserhäuser wie ein Freilichtmuseum. Hier unten scheint auch tatsächlich die Sonne. Der Monte Rosa macht dagegen weiterhin einen auf Prinzessin.
Einen Kilometer talabwärts gelange ich nach Alagna. Die Nähe zum zweithöchsten Massiv der Alpen und seinen Gletschern hat aus dem einstigen Bergdorf einen Touristenhotspot gemacht, mit allen Konsequenzen: Die Mixtur aus alten Walserhäusern und Bausünden der 60er und 70er Jahren ist beeindruckend. Dazwischen verirren sich eine schöne, jedoch innen äußerst dunkel gehaltene Kirche, einzelne Häuser der Belle Epoque sowie moderne Bauten, die unter Verwendung von viel Holz versuchen, zumindest außen den geschmacklichen Totalschaden der vorgenannten Bausünden zu verhindern. Durch die Fußgängerzone laufen nicht nur Touristen, sondern auch Bergsteiger mit Eispickel und Steigeisen am Rucksack; der Monte Rosa und seine Seilbahn sind nah. Spaßeshalber schaue ich mal im Schaufenster eines Bergführerbüros nach den Tarifen: 475 Euro kostet eine geführte Besteigung der Signalkuppe in einer Gruppe, 700 Euro, wenn man oben in der Campanna Margherita auf 4.500m übernachten will; den Preis für eine Führung als alleiniger Gast gibt es auf Anfrage. Gut, dass ich da vor 30 Jahren schon mal oben war.
Als ich am Geldautomaten der Banca Populare di Novara meinen Bargeldbestand ergänze, spuckt die Maschine ausschließlich 20er Noten aus, so dass nun die monetäre Ausstattung für die nächste Woche meine Geldbörse aufbläht. Im einzigen Lebensmittelgeschäft, einem Tante Emma- artigen Alimentari, gebe ich dann meinem Heißhunger nach und kaufe mir 10 Aprikosen. Kurz darauf fängt es an zu regnen.
Da die Hotelpreise hier astronomisch sind, hat mir Houston Mission Control ein Zimmer im 20 Minuten entfernten Piode gebucht  Der Bus dahin fährt laut Google Maps um 17 Uhr und gemäß ausgehängtem Fahrplan um 17:10 Uhr.  Bei Busfahrplänen bin ich ja seit Sulden ein gebranntes Kind und setze mich rechtzeitig an die Haltestelle. Der Bus kommt, macht kurz Pause, damit der Fahrer in der Bar nebenan einen schnellen Kaffee trinken kann, und fährt dann um 17 Uhr ab. Der Pannen nicht genug: Da der Fahrer es während der Fahrt nicht schafft, seinem Ticketautomaten eine Fahrkarte Alagna - Piode zu entlocken, fahre ich umsonst mit; zu seiner Entschuldigung ist zu sagen, dass ich der einzige Barzahler bin und alle anderen Fahrgäste Zeitkarten haben.
In Piode beginnt ein gewittriger Wolkenbruch, gerade als ich aus dem Bus steige. Obwohl mein Albergo bereits in Sichweite ist, muss ich zwanzig Minuten im Bushäuschen ausharren.
Der Empfang im Ristorante Residence Giardini ist sehr freundlich. Mein Zimmer hat kurioserweise ein Einzel- und ein Etagenbett, aber das ist mir ja völlig gleich. Dafür habe ich vom kleinen Balkon aus einen direkten Ausblick auf den örtlichen Wasserfall.
Für das Abendessen habe ich gleich einen Platz im Restaurant reserviert, und das Essen - Pasta in Olivenöl mit Knoblauch, Steak con Insalata und ein Stück Mandeltorte - ist hervorragend.
Satt und müde falle ich ins Bett.

Glück des Tages: Das Abendmenü im Ristorante, endlich wieder ein gutes Essen.

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...