Mittwoch, 27. Juli 2022

61. Tag: 24. Juli 2022 Forno - Rimella Chiesa

Beim Frühstück sitze ich wieder mit Astrid und Christian zusammen. Die beiden gehen heute nur bis Campello Monti und können sich ein wenig mehr Zeit lassen als ich.
Auch heute morgen klappt es nicht mit einem Anruf in Rimella; es sollte für eine Person aber kein Problem sein unterzukommen, meint Gianni.
Der heutige Weg führt mich schnell aus dem Dorf hinaus und sanft ansteigend taleinwärts. Leider haben hier ganze Geschwader von Bremsen nur auf mich gewartet und fallen nun über mich her wie die imperialen Sturmtruppen in STARWARS. Ich schlage zum Schutz den Hemdkragen hoch und erhöhe das Tempo. Das ist zusammen mit gefühlt Dutzender erschlagener Insekten einigermaßen effektiv, jedoch habe ich so kaum Muße, mir das schöne Tal anzuschauen.
Bei den Häusern von Piana di Forno hat der Spuk ein Ende, die Bremsen verschwinden so schnell wie sie gekommen sind. Auf schmalen Treppen geht es durch den Weiler. An einigen der alten Häuser werden heute Wände verputzt und Pflaster verlegt, schön, dass so zumindest Teile der alten Bausubstanz erhalten bleiben.
Irgendwo hier verpasse ich die Weiterführung des Wanderweges, und ich lande auf der am Hang trassierten schmalen Straße. Das ist jedoch kein Problem, da es nicht mehr weit ist bis Campello Monti. Vor einem winzigen Friedhof mit schmiedeeisernem Gittertor befindet sich ein Brunnen, an dem ich Wasser trinken und die Flaschen befüllen kann.
Kurz darauf bin ich in Campello Monti. Hier endet die Straße in einen Parkplatz, der heute am Sonntag gut genutzt wird.
Das alte Walserdorf ist ein echtes Kleinod. Zwar stehen viele der alten Häuser leer, andere sind jedoch bewohnt; zusammen mit der kleinen Kirche ergibt sich so ein pittoreskes Ensemble mit dem ganzen Charme italienischer Bergdörfer.
Heute gibt es hier keine ganzjährigen Bewohner mehr. Der letzte starb 1980; im Winter wurde damals regelmäßig per Hubschrauber kontrolliert, ob er noch lebt. Das große Schulhaus zeigt jedoch deutlich, wie viele Menschen hier früher gelebt haben müssen.
Für mich hat noch etwas anderes große Bedeutung: In Campello Monti biege ich auf die GTA ein und stehe, ähnlich wie beim Nordalpenweg oder beim Karnischen Höhenweg vor einiger Zeit, mit einer gewissen Ehrfurcht vor dem ersten Schild des großen Fernwanderwegs.
Wochen werde ich ihm nun folgen, bis ich in Chiappera, schon ganz weit im Süden, schließlich nach Frankreich wechsle.
Heute geht es jedoch erstmal auf einem mit großen Blöcken befestigten Steig aus dem Dorf hinaus, auf das ich noch einige Zeit zurückschauen kann.
Über mehrere Almböden wandere ich bergauf der bald weit über mir sichtbaren Boccetta di Campello entgegen, dem Übergang nach Rimella. Einige Almhütten stehen hier oben, ein wenig Kuhglocken- Geläut ist zu hören, ein Wanderer kommt mir entgegen, ansonsten ist es völlig einsam. 
Das ändert sich am Pass. Hier sitzen einige Leute, und von der anderen Seite kommt später eine größere Wandergruppe herauf. Ich komme mit einem Paar aus Padua ins Gespräch, die in der Gegenrichtung von Rimella nach Campello Monti unterwegs sind. Er war beruflich einige Male in Düsseldorf und kann sich vor allem an den breiten Rhein erinnern.
Vom Monte Rosa, der hier in ganzer Pracht vor einem steht, ist in den wilden Quellwolken wieder nichts zu erkennen. Schade, aber ich bin der letzte, der sich über das Wetter beklagt. So schaue ich in meine Peakfinder-App und denke mir die Gletscherberge ins Panorama hinzu.
Dann steige ich hinab ins Tal von Rimella. An der malerischen Alpe Pianello geht es vorbei, von der, so habe ich es heute früh in Forno von einem älteren Herrn gehört, sogar schon das australische Fernsehen einen Bericht gemacht hat. 
Eine knappe Stunde später bietet sich eine malerische Sicht auf die Häuser von San Gottardo, einer der klassischen Ausblicke dieses Teils der GTA.
Dann geht der Weg über in einen offensichtlich frisch in den Hang hinein gefrästen Almfahrweg, der auf meiner Online- Karte noch nicht verzeichnet ist. Mangels anderer plausibler Abzweigungen folge ich ihm, entferne mich dadurch jedoch von meinem GPS- Track. Nach einem Waldstück treffe ich dann auf einen eingezeichneten Querweg, der nach Rimella führen sollte. In diesen Steig biege ich ein und gelange nach einer weiteren halben Stunde nach tatsächlich in den Ortsteil Chiesa, in dem das Albergo Fontana steht. Irgendwelche Beschilderungen, vorher des öfteren vorhanden, habe ich nicht mehr gesehen.
Mit dem Gang durch das Dorf von der Kirche hinab zum Albergo steigt die Spannung: Bekomme ich in dieser legendären und für ihr Essen berühmten GTA- Unterkunft einen Schlafplatz?
Die ältere Frau an der Theke versteht mich nicht und ich sie nicht, sie ruft aber gleich eine junge Frau herbei, die Englisch spricht. Das Telefon sei tot, sagt sie, weil die Leitung vor einigen Tagen von einem Gewitter beschädigt worden sei. Ja, ein Zimmer könne ich bekommen, ich müsse nur noch ein wenig warten; ob ich bei einem Getränk nicht auf der Terrasse Platz nehmen wolle? Natürlich, ich wähle Sprudel und setze mich draußen in den Schatten.
Es mag nun wohl eine Stunde gedauert haben bis sich etwas tut, ich nutze die Zeit zum Blog- Schreiben, immerhin bin ich einige Tage im Verzug. Dann werde ich in ein reizendes kleines Zimmer geführt, das Ausblick auf die hübsche Kirche hat. Damit war nicht unbedingt rechnen, entsprechend bin ich sehr glücklich über diese Entwicklung.
Abendessen beginnt um 20 Uhr, das wird mir noch gesagt; ziemlich spät, aber was will man machen?
Ich schreibe weiter am Blog, auch wenn hier und sehr wahrscheinlich auch in den nächsten Tagen kaum genügend Netz zum Hochladen gegeben sein wird. Um 18 Uhr spielen die Kirchenglocken ein schönes Glockenspiel, danach drehe ich eine kurze Besichtigungsrunde durch das Dorf. Die Kirche, die vorhin verschlossen war, ist jetzt offen, jedoch findet gerade ein Gottesdienst statt, da möchte ich als Fremder nicht stören.
Das Abendessen findet im großen Speisesaal statt, und es ist wie bereits in mehreren anderen Blogs beschrieben lecker und äußerst üppig. Größere, kleinere und ganz kleine Gänge wechseln sich ab. Einschließlich des Grappas werden es am Ende 12 - in Worten zwölf - einzelne Gänge sein. Entsprechend kugelrund gehe ich dann um halb 12 ins Bett.

Glück des Tages: Das wunderschöne Dorf Campello Monti.

Gelaufen: 15,9 Kilometer 
Bergauf: 1.028 Hm  
Bergab:  783 Hm   
Höchster Punkt: Boccetta di Campello (1.924m) 
Übergänge: Boccetta di Campello
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...