Das Frühstück macht heute richtig gute Laune, vor allem der reichhaltige Obstsalat hat es mir angetan. Und ich kann draußen sitzen.
Heute liegt eine Verbindungsetappe vor mir, um vom Lago Maggiore zur GTA zu kommen, der Grande Transversata delle Alpi. Diese große italienische Fernwanderroute wird mich über mehrere Wochen hinweg bis in die Seealpen bringen. So vielversprechend diese Aussichten sind, liegt heute ein recht unspektakulärer Tag ohne jede Art des Alpinismus vor mir, um am Ende meinen GTA- Einstieg in Forno zu erreichen.
Ich starte mit einem Spaziergang am Seeufer entlang Richtung Norden, erst auf der Promenade direkt am Wasser, dann auf der Uferstraße. Das morgendliche Licht ist wunderbar; vom Gewitter, das sich tief in der Nacht entladen hatte, ist nichts mehr zu spüren.
An der Straße liegen einige wundervolle Villen im klassischen Stil, in mancher könnte man eine italienische Neuverfilmung von THE GREAT GATSBY drehen.
Dann mündet die Uferstraße in die große Staatsstraße ein, und es ist vorbei mit der Beschaulichkeit. Es herrscht jede Menge Verkehr an diesem Samstagmorgen, selbst Lastwagen sind heute unterwegs. Die Aussicht ist trotzdem nicht übel.
Eine halbe Stunde muss ich diesen Lärm ignorieren, dann zweigt ein Wander- und Radweg ab in das Naturschutzgebiet "Riserva naturale speziale del fondo Toce". Hier ist es auf einen Schlag völlig ruhig. Nach einer knappen halben Stunde erreicht der breite Weg den Toce und folgt ihm flussaufwärts. Der Fluss kommt vom Simplon herunter und ist der größte Zufluss des Lago Maggiore; breit, träge und helltürkis fließt er dem See zu. Ich nutze den entspannten Uferweg für ein langes Telefonat mit Houston Mission Control.
Um schließlich über den Toce nach Gravellona zu kommen, steht mir nur der kaum vorhandene Randstreifen an der Staatsstraße zur Verfügung, dem ich sogar durch das Kleeblatt der Auffahrt zur Autostrada folgen muss. Bürgersteig Fehlanzeige, Fußgänger scheint es hier nicht zu geben.
In Gravellona komme ich direkt an einem ALDI vorbei; das kann ich nicht ungenutzt lassen. Drinnen ist es brutal runtergekühlt, vor allem wenn man verschwitzt den Laden betritt. Schokolade gibt es hier leider nur in unpraktischen Großpackungen oder als hauchdünne Spezialmarke, diese schmilzt schon beim Hinschauen und scheidet für mich aus. Dafür werde ich an der Brottheke fündig und kaufe ein Pizzastück und eine Art herzhaften Kuchen für das Mittagessen.
Der Weiterweg nach Omegna würde entweder entlang der Hauptstraße führen oder über eine kaum befahrene Asphaltstraße am Hang mit einigen Steigungen. Ich entscheide mich für zweitere Alternative und spule die anderthalb Stunden schwitzend aber emotionslos herunter. An der einzigen Bank auf halber Strecke mache ich Mittag und verspeise die ALDI- Brotzeit; sie schmeckt besser als gedacht.
Omegna ist, obwohl direkt am Lago di Orta gelegen, eine nüchterne Industriestadt, ich passiere etliche Fabriken, Lagerhallen und hässliche Gewerbegebiete. Nahe des Zentrums biege ich noch in einen PENNYMARKT ab, hier gibt es endlich die vertraute RITTER SPORT. Dann nutze ich in der auf den ersten Blick kaum attraktiven Innenstadt noch einen Geldautomaten und suche schließlich den Abzweig der Straße ins Val Strona, an dessen oberen Ende Forno liegt. Den Bus dort hinauf habe ich knapp verpasst; die Rezeptionistin in Verbania hatte mir gesagt, dass der Bus nur Montag bis Freitag fährt, und auch bei Google Maps war er für heute nicht gelistet. Gleichwohl fuhr er direkt vor meiner Nase weg.
Ich ärgere mich nur kurz, denn mein eigentlicher Plan war es ja ohnehin, ohne Bus hinauf zu kommen. Zu Fuß entlang der alternativlosen Straße ist dies zwar grundsätzlich auch machbar jedoch, zumal in der heutigen Hitze, ein mörderischer Alptraum. Von diesem Marsch wird in aller Literatur und auch in den einschlägigen GTA- Informationsquellen abgeraten.
Also positioniere ich mich am Beginn der Straße und strecke in bewährter Weise den Daumen raus. Viel Verkehr taleinwärts gibt es nicht, das merke ich rasch. Trotzdem braucht es wieder kaum eine Viertelstunde, da hält ein Auto. Der Fahrer kann zwar kaum Italienisch, Deutsch oder Englisch sowieso nicht; aber er deutet mir, dass er zwar nicht hinauf nach Forno fährt, mich bis nach Strona mitnehmen kann, dem Hauptort des Tales. Gerne nehme ich das Angebot an.
Vor der Apotheke in Strona lässt er mich raus. Dort signalisiert eine Temperaturanzeige, dass Bewegung im Freien eventuell gesundheitsschädlich sein könnte.
Aus den Quellwolken über mir fallen ein paar Tropfen, also stelle ich mich ersteinmal unter. Als der kleine Schauer vorbei ist, wandere ich die Straße talaufwärts. Lange kommt nun kein Auto. In Piana di Fornero komme ich an einem Pinocchio- Museum vorbei, die berühmte Holzfigur mit der wachsenden Nase stammt ja aus diesem Tal.
Dann hält ein weißer Golf; wieder fährt der Fahrer nicht bis nach Forno, aber einige Kilometer könne er mich schon mitnehmen. Der junge Mann fährt sogar weiter, als er eigentlich wollte, um mich möglichst weit ins Tal zu bringen, und lässt mich schließlich an einer zum Drehen geeigneten Stelle oberhalb von Marmo raus.
Zwei Drittel der Strecke nach Forno habe ich nun schon geschafft, den Rest kann ich zur Not wirklich laufen, denke ich mir. Aber gleich das nächste Auto hält wieder an. Es ist ein Handwerker in einem vollgepackten VW Caddy, der mich tatsächlich bis nach Forno mitnehmen kann. Ich zwänge mich neben eine tragbare Mähmaschine auf den Beifahrersitz, und los geht die Fahrt auf den letzten Kilometern. Der Fahrer kann ganz gut Englisch; er war früher Bergführer am Monte Rosa, bis er sich etwas sichereres suchte. Nun klettere er nur noch just for fun. In Forno angekommen fährt er mich bis fast vor die Albergo di Leoni. In vielen Berichten habe ich von diesem freundlichen Gasthaus gelesen, nun stehe ich selbst davor.
Ich hatte vorgestern per Mail reserviert und werde nun von Gianni, dem jungen Chef, mit Vornamen begrüßt. Er zeigt mir mein kleines Zimmer und vor allem den Weg dorthin, denn das Haus ist wegen diverser Anbauten ziemlich verwinkelt.
Nun habe ich bis zum Abend ausreichend Zeit zum Duschen, für einen kleinen Mittagsschlaf und zum Blogschreiben.
Abendessen gibt es ab sieben, um sechs Uhr mache ich mich auf zu einem kleinen Spaziergang durch das hübsche Dorf, immerhin die höchstgelegene ganzjährig bewohnte Siedlung des ganzen Tals.
Danach setze ich mich auf ein Feierabendbierchen an einen der beiden Tische vor dem Gasthaus. Es sind einige Menschen auf der Straße, und auch das Lokal füllt sich, draußen mit einigen Männern in gelöster Stimmung, drinnen mit einer Geburtstagsgesellschaft. Zu mir an den Tisch setzen sich Astrid und Christian aus Braunschweig, die heute angekommen sind und sich ihren dritten Teilabschnitt der GTA vorgenommen haben. Wir sind uns auf Anhieb sympathisch und essen zusammen hier draußen.
Es gibt ein fünfgängiges Menü, beginnend mit Spaghetti, dann Minestrone, Bratkartoffeln mit Fleischstückchen in Zwiebelsoße, Almkräuterkäse und zum Abschluss ein kleines Stück Kuchen. Zum ersten Mal auf meiner Tour habe ich die Muße, mir Weißwein zu bestellen, und genieße das Essen in vollen Zügen. Die beiden Braunschweiger haben auch schon mehrere längere Touren gemacht, mit unserem Austausch vergeht der Abend wie im Fluge.
Inzwischen hat sich das Lokal und auch der Platz davor zum Zentrum des abendlichen Dorflebens entwickelt, und wir sitzen mitten drin.
Gegen 22 Uhr machen wir dann aber Schluss, das Dorf wird noch eine Weile sitzen bleiben.
Leider hat die telefonische Reservierung für morgen im Albergo Fontana nicht geklappt; weder die Leute vom Albergo noch ich mit dem Handy bekommen eine Verbindung. Vielleicht klappt es damit ja morgen früh.
Glück des Tages: 'Es wird sich was ergeben'; ich hatte keinerlei Zweifel, irgendwie nach Forno zu kommen, und es hat geklappt.
Gelaufen: 21,6 Kilometer
Bergauf: 262 Hm
Bergab: 89 Hm
Höchster Punkt: Forno (892m)
Übergänge: Toce (Fluss)
Gipfel: keine