Dienstag, 26. Juli 2022

59. Tag: 22. Juli 2022 Gudo - Verbania

Meine slowakischen Platznachbarn waren noch recht lange aktiv, das habe ich aber irgendwann nicht mehr gehört. Die abendliche Hitze im Zelt verflog im Laufe der Nacht, und irgendwann war ich froh um meinen Schlafsack.
Nach dem Zeltabbau mache ich mich auf den Weg zum Lago Maggiore. Der Fahrweg auf dem Deich des Ticino bietet mir den auch schon in der Früh hochwillkommenen Schatten, ist jedoch ansonsten vollkommen befreit von Ablenkungen aller Art.
Nach einem Kilometer biege ich in den nächsten, deutlich spießigeren Campingplatz ein, um zu frühstücken. Das war ein sehr guter Tipp des Platzchefs vom La Serta; der Kaffee ist sehr lecker - nachdem ich ihn im Verhältnis 3:1 mit heißem Wasser gestreckt habe -, und die Croissants dazu erinnern fast schon an Frankreich.
Zurück auf dem Wanderweg gibt es nichts weiter zu sehen als eine am Morgen noch verwaiste Gocart- Bahn und die verkehrsreiche Brücke, auf der ich die Flussseite wechsle.
Dann erreiche ich Magadino, der erste Ort am Seeufer. Hier hat meine Wanderung ihren absoluten Tiefpunkt erreicht: 193 Meter hoch gelegen, so weit runter komme ich, außer am Schluss auf Meereshöhe, nicht mehr.
Locarno liegt genau gegenüber, dazwischen sind Boote auf dem Wasser, vor mir der öffentliche Badestrand - es herrscht Ferienstimmung.
Jedoch gilt es nun, ein Problem zu lösen. Am See entlang gibt es keine Wanderwege. Deshalb haben die meisten meiner 'Vorgänger' das Linienschiff Locarno- Stresa bzw. Verbania genommen. Leider verkehrt dieses seit Beginn der Corona- Zeiten nur noch am frühen Morgen, der für uns Fernwanderer relevante Nachmittagskurs wurde auf zweimal die Woche zusammengestrichen. Je nachdem bin ich dafür jedoch heute entweder zwei Tage zu spät oder einen Tag zu früh dran. Also bleibt mir als Alternative nur die am südlichen Seeufer verkehrende Eisenbahn. Da dies natürlich deutlich weniger attraktiv erscheint wie eine Schifffahrt, möchte ich keine Möglichkeit ungeprüft lassen; dies kann ich jedoch nur drüben in Locarno. Also setze ich mit der stündlichen Fähre über und befinde mich sehr abrupt in einer Schicki-Micki- Stadt voller Menschen und viel lautem Verkehr. Die freundliche Dame an der Schifffahrt- Information hat aber keine Neuigkeiten für mich: Der Nachmittagsdampfer verkehrt tatsächlich weiterhin nicht täglich, und es gibt keine alternativen Schiffskurse und auch keine Busse, die den See hinunterfahren. Also muss ich wieder zurück nach Magadino, da ja dort zumindest ein Zug fährt. 
Eine Dreiviertelstunde ist nun bis zur nächsten Überfahrt zu überbrücken. Da Locarno, zumindest was ich erkennen kann, kaum attraktiv ist für eine Besichtigung, gebe ich meinen Gelüsten nach und steuere in den McDonald's am Bahnhof. Burger und Pommes, dazu eine Cola, Fast Food vom Feinsten, aber mindestens genauso lecker wie der Döner gestern. Außerdem habe ich die Hoffnung auf das kostenlose McDonald's- WLAN, das ich überall zwischen Amerika und Neuseeland zu schätzen wusste. In der Schweiz ist aber alles anders: Free-WIFI ist gekoppelt an ein Passwort, das man per SMS zugestellt bekommt. Der Roaming- Kosten sensible Nutzer wittert bei so etwas natürlich eine Kostenfalle, da man sich ja dafür in ein Schweizer Netz einwählen muss. Also warte ich mit dem Internet lieber, bis ich wieder in Italien bin.
Auf dem Boot, das von einer italienischen Firma betrieben wird, erinnert man sich an mich; der Fahrkartenverkäufer meint auf Deutsch: "Ihre Fahrkarte ist bestimmt noch gültig" und nimmt mich dann ohne weitere Diskussion einfach mit. Don't pay the Ferryman... 
Zurück in Magadino habe ich dreifach Glück: Der Bahnhof liegt nicht allzu weit entfernt, was den Fußmarsch in der Hitze kurz hält; der nächste Zug, der den ganzen See abfährt, kommt schon in einer halben Stunde; und vor dem Bahnhofsgebäude ist ein Brunnen mit kühlem Trinkwasser.
Der Zug, ein moderner Triebwagen, ist selbstredend pünktlich. Nach kurzer Zeit schlendert eine Doppelstreife der Guardia di Finanza durch den Gang, sicheres Zeichen, dass ich wieder in Italien bin.
Ich fahre bis Laveno, denn hier fährt eine Autofähre über den See bis nach Intra, das unweit von Verbania liegt; dort hat mir Houston Mission Control ein Hotelzimmer gebucht.
Auch auf der im Vergleich zum Magadino- Boot deutlich größeren Autofähre macht die Überfahrt Spaß, und die Hitze ist dank des kühlen Windes auf dem See erträglich.
Nach dem Anlegen auf der nördlichen Seeseite steht mir jedoch die schwerste Aufgabe des Tages noch bevor: Der einstündige Fußmarsch durch die hitzeflirrende Doppelstadt Intra/ Verbania geht an die Substanz. Schließlich ignoriere ich die Richtungsangaben von Google Maps und wähle die Straßen nach der Schattenwahrscheinlichkeit aus. Das dauert länger, macht es aber erträglich.
Mein Hotel Albergo Pesce Doro liegt wieder direkt am Seeufer und ist von außen wie innen eine gute Wahl. Mein Zimmer hat natürlich erneut keinen Seeblick, aber länger als die Zeit fürs Duschen, Wäschewaschen und Schlafen bin ich sowieso nicht hier.
Für das Abendessen orientiere ich mich wieder an den Restaurant- Kritiken von Google und lande im Open Air- Bereich einer guten Pizzeria mit Blick auf den See. Nachdem es gestern nichts zu essen gab entscheide ich mich heute wieder für den Doppelschlag Pasta und Pizza. 
Aus der Bar direkt nebenan schallt geniale Musik herüber; ein DJ legt Hits der 70er und 80er auf, nonstop alles zwischen Saturday Night Fever, Sade, ABBA, Chris Rea und Pointer Sisters. Da bleibe ich gerne noch auf eine zusätzliche Weißbierlänge sitzen, lasse den Fuß im Takt wippen und genieße einen tollen Abend.

Glück des Tages: Musik aus meiner Jugend mit Blick auf den nächtlichen Lago Maggiore.

Gelaufen: 13,2 Kilometer 
Bergauf: 62 Hm  
Bergab:  89 Hm   
Höchster Punkt: Campingplatz La Serta (222m) 
Übergänge: Lago Maggiore 
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...