Mittwoch, 7. September 2022

97. Tag: 29. August 2022 Rifugio Prati del Vallone - Rifugio Migliorero

Trotz Strom- Restriktion und der vor allem über Nacht ruhenden Energieversorgung habe ich Handy und Kamera aufladen können; das schien gestern noch nicht selbstverständlich, vor allem als um 22 Uhr der Generator und damit auch das Licht ausging. 
Das Frühstück wird mit leckerem frischen Kuchen aufgewertet, und es heißt ausdrücklich, dass ich gerne noch ein zweites Stück bekommen kann. Das Angebot nehme ich natürlich gerne an.
Heute gehe ich über zwei Colles zum Rifugio Migliorero; eine nicht ganz so lange Etappe wie gestern, ich kann mir also unterwegs etwas Zeit lassen. 
Trotzdem bin ich früh unterwegs, die Sonne scheint noch nicht in das enge Tal, nur die Berge ringsum sind beleuchtet. Und es ist so kalt, dass ich zunächst Handschuhe überstreife.
Der erste Pass heute ist der Passo Sottano di Scolettas. Der Weg dort hinauf ist zunächst ein steiler Serpentinenpfad durch den Hang. Nach diesem transpirationsfördernden Höhenmetern geht es dann etwas kommoder durch einen schönen Almboden. Hier kann ich dann auch in die wärmende Sonne treten.
Oben am der Passhöhe steht ein altes Militärgebäude, von diesem aus führt jenseits eine weitere dieser aufwendigen Alpini- Straßen hinunter ins Vallone del Piz. Diese hat sogar einen kleinen Tunnel, durch den die GTA hindurchführt.
Die sonnengewärmten Steine der parallel zur Straße errichteten Stützmauer sind Heimat für allerlei Getier; neben den beinahe allgegenwärtigen Eidechsen ergreift hier auch eine Kreuzotter hektisch die Flucht in einen Spalt zwischen den Steinen.
Etwas über dem Talgrund steht das Rifugio Zanotti; eine verschlossene Selbstversorgerunterkunft des CAI Genua. Hier setze ich mich in völliger Stille vor die Hütte und mache ich eine lange Pause. Erst als ein französischer Bergsteiger hinzukommt, packe ich wieder meine Sachen.  
Der zweite Pass, der Passo di Rostagno, ist deutlich höher als der erste, und der Aufstieg ist deutlich ernster. Schon das Hochtal, das zu seinen Füßen führt, ist rauhes Terrain und kein Vergleich zu dem lieblichen Almgelände von vorhin, und der Schlussaufstieg zum Pass führt in vielen Kehren über einen steilen Schotterhang.
Trotzdem komme ich zügig hinauf und genieße wieder einmal den Vorfreude- Moment, wie es hinter der Passhöhe wohl aussieht: Diesmal zeigt die Cima Argentera, obwohl immer noch im Hintergrund, dass ich ihr seit gestern bereits wieder ein gutes Stück näher gekommen bin.
Durch ein schmales und sehr steiles Schuttkar steigt die GTA hinunter zum Rifugio Migliorero. Dieses ist trotz seines abgelegenen Standorts recht bekannt, da es von außen sehr an ein schottisches Castle erinnert.
Da ich früh dran bin, kann ich mich in der Umgebung ein wenig umschauen und einige Foto- Standorte ausprobieren, um die Schloss- Hütte richtig in Szene zu setzen.
Währenddessen kommt der französische Wanderkollege von vorhin wieder vorbei und baut an erlaubter Stelle am Rande des an den See angrenzenden Feuchtgebietes sein Zelt auf; mit Blick auf den für den späten Abend prognostizierten Regen eine wie ich finde eher mutige Entscheidung.
Das Bild des Tages gelingt mir, als sich für höchstens eine Minute intensive Sonnenbeleuchtung und ein in Windstille ruhender See kombinieren. 
Danach bin ich hochzufrieden, und als kurz darauf die Sonne hinter dunklen Wolken verschwindet betrete ich die Hütte. 
Der erste Eindruck: Außen Hui und innen geht so, es schaut schon im Eingangsbereich alles ein wenig abgegrabbelt aus. 
Oskar, der Hüttenwirt, begrüßt mich mit Namen und erinnert sich, dass mich vorgestern seine Kollegin vom Rifugio Gardetta angemeldet hatte. Wir plaudern kurz ein wenig Smalltalk auf Französisch, dann führt er mich zu meinem Lager. Ich habe ein 6er Zimmer für mich, da die Hütte heute fast leer ist; "Hors- Saison", sagt er achselzuckend. Im Zimmer bestätigt sich leider meine mittelprächtige Erstmeinung über die Hütte: Die abgestoßenen Metallbetten machen keinen guten Eindruck mehr, die Matrazen wurden bereits von vielen Bergsteiger- Generationen plattgelegen, und ein neuer Anstrich und zum Teil auch Putz wäre nicht unbedingt unvorteilhaft.
Außer mir übernachten hier heute noch ein älterer Italiener sowie Thomas und Michael aus der Schweiz und Markus genannt Marko aus Lörrach. Dieser spricht mich zuerst auf Italienisch an und ich radebreche eine Antwort, bis wir merken, dass es auch einfacher geht. Er geht die ganze GTA vom Gotthard nach Ventimiglia in einem durch, während die beiden Eidgenossen heuer zwei GTA- Wochen geplant haben.
Im großen leeren Speisesaal sind die Plätze für uns fünf schon gedeckt; jedoch: Wehe, man setzt sich schon vorher dorthin: Das gehe nicht, wird einem beschieden, man müsse sich bis 19 Uhr woanders hinsetzen. Das erstaunt schon ein wenig, denn außer einer Serviette, einem Glas sowie Besteck könnte man nicht viel durcheinander bringen.
Während und nach dem Essen unterhalten wir vier uns prächtig; erst als wir ob der auf dreiviertel 10 vorgerückten Stunde langsam aber erkennbar kritisch angesehen werden beschließen wir den Abend.
Da mein Zimmer gegenüber Waschraum und Toilette liegt, bitte ich die drei noch halb im Scherz, doch bitte bei eventuell nächtlich erforderlichen Gängen leise zu sein.
Dann bin ich wieder froh, dass ich meinen Daunenschlafsack dabei habe und damit so wenig Kontakt wie möglich zu den ausliegenden Wolldecken zu haben. Die tragen zwar das stolze Wappen der hüttenbesitzenden CAI- Sektion Fossano, sind in meiner Vorstellung jedoch kaum einnehmender als die übrigen Teile der Hütte.

Glück des Tages: Das Rifugio Migliorero im Spiegel des Sees.

Gelaufen: 14,4 Kilometer
Bergauf: 1.031 Hm 
Bergab: 655 Hm  
Höchster Punkt: Passo di Rostagno (2.536m)
Übergänge: Passo Sottano di Scolettas, Passo di Rostagno
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...