Sonntag, 25. September 2022

106. Tag: 07. September 2022 Belvèdére - Col de Turini

Ich frühstücke zusammen mit Gilles und Alain und erzähle ihnen von meiner langen Tour im Allgemeinen und der GTA im Besonderen. Die beiden Franzosen haben bereits die Tour du Mont Blanc gemacht und sind sehr interessiert, was ich alles erlebt und gesehen habe. Meinen Rother- GTA- Führer blättern beide begeistert durch; gut, dass es ihn auch auf Französisch gibt, hier sind zwei potenzielle Kunden. Zum Schluss schaut auch noch einmal Guy vorbei und verabschiedet uns.
Es war eine sehr angeregte Stunde, und wieder einmal ist es schade, dass man sich nur so kurz sieht. Dass ich diese Unterhaltung ohne Google- Übersetzer in Französisch geführt habe erfüllt mich als frankophilen Autodidakten mit Stolz, auch wenn es eine hohe Fehlertoleranz bei meinen Gesprächspartnern erfordert. Erinnerungen kommen auf an meine Arbeitskollegin in Paris, mit der ich bei meinen Dienstreisen dorthin während der Mittagspause eisern Französisch reden musste, so unsere Übereinkunft; diesen Gesprächen habe ich viel zu verdanken.
Guy zeigt mir zum Schluss noch, wo ich in den Weg nach Belvédère einbiegen kann, und eine Viertelstunde später bin ich dort. Das hätte ich gestern wirklich einfacher haben können.
Auf dem Weg versuche ich telefonisch, meine Reservierung für heute Abend im Hotel Le Ranch zu fixieren; gestern hatte mein Wunschhotel am Col de Turini abgesagt, da Übernachtungen in der Nebensaison nur noch am Wochenende möglich seien, und meine Homepage- Anfrage bei Le Ranch blieb bislang unbeantwortet. Mein Gesprächspartner ist zwar nicht der freundlichste, jedoch habe ich nun ein Bett oben am Pass sicher.
In Belvédère suche ich nach einer Bäckerei und frage einen älteren Passanten um Rat. "Pas de Boulangerie, pas de pain" antwortet er achselzuckend, "et pas de croissants" antworte ich. Er meint, dass ich vielleicht in La Bollène etwas zu Essen bekäme. Schade, aber nicht zu ändern, zwei Snickers und ein paar Kekse habe ich ja noch im Rucksack.
Heute steht meine letzte richtige Gebirgsetappe an. Zwar werde ich wie gestern eher durch eine mittelgebirgsartige Landschaft wandern, jedoch erwartet mich heute Nachmittag noch einmal ein ordentlicher Anstieg von 1.000 Höhenmetern bis hinauf zum Col de Turini. 
Das Wetter ist ein wenig bedeckt, aus Richtung Meer leuchtet jedoch blauer Himmel herüber - über der Côte d‘Azur scheint die Sonne.
Ich lasse Belvédère rasch hinter mir, nach einem Zwischenabstieg in ein Tälchen präsentiert sich mir das Dorf noch einmal im Rückblick. 
Etwas später liegt am Hang gegenüber bereits das nicht minder pittoreske Dorf La Bollène- Vésubie.
Das dazwischenliegende Tal ist schnell überwunden.
La Bollène ist ein etwas größerer Ort, und ich finde einen kleinen Alimentari- artigen Gemischtwarenladen, der mir neben einer Cola auch Baguette und Croissants verkauft. Die Straße herunter gäbe es zudem auch einen Fischladen von erstaunlicher Größe für diesen doch eher beschaulichen Ort.
Am Ortsausgang steht nun auch der Col de Turini auf dem Wanderschild. Statt bergauf geht es jedoch auf einer Straße deutlich bergab, einige Serpentinen lassen sich dabei auf Fußwegen abkürzen.
Erst beinahe ganz unten, etwa 100 Meter über dem Talgrund der Vésubie, zweigen GR52A und VIA ALPINA schließlich vom Hauptweg ab, und es beginnt der letzte große Anstieg meiner Tour. Durch lichten Laub- und Kiefernwald wandere ich in vielen Kehren bei angenehmer Steigung bergauf. Inzwischen ist auch die Sonne herausgekommen. 
Eine Stunde weiter oben öffnet sich noch einmal der Blick nach Norden: Über dem Tal der Vésubie ist Belvédère gut zu sehen, und dahinter die Berge des Mercantour. So alpin wie dort wird es wohl nicht mehr werden in den noch anstehenden Tagen.
Der weitere Aufstieg verläuft unspektakulär und ohne größere Anstrengungen weitgehend über Forststraßen, wieder einmal sehe ich stundenlang keinen Menschen.
Dann stehe ich ohne mich groß verausgabt zu haben um kurz vor halb vier am Col de Turini, meinem letzten richtigen Alpenpass. Hier oben treffen drei in unterschiedliche Täler führende Straßen aufeinander. Diese Strecken sind ein Mekka für Rad- und Motorradfahrer, entsprechend herrscht ein Kommen und Gehen der Zweiräder.
Das Hotel Le Ranch liegt direkt an der Passhöhe. Mein Empfang durch die Wirtin ist äußerst unterkühlt, was sich mit den in den Google-Kritiken hinterlegten Eindrücken vorheriger Gäste deckt. Aber das winzige Zimmer - eigentlich passt nur das Bett rein - und das dazugehörige Bad sind sauber, mehr brauche ich ja nicht.
Zum vielleicht letzten Mal wasche ich im Waschbecken mein Wanderhemd durch, dann recherchiere ich die Übernachtungsmöglichkeiten für die nächsten zwei Tage. Im Hinterland der Côte d‘Azur sind die Unterkünfte wie es scheint dünn gesäht und weitgehend ausgebucht. Allein das Hotel in Peille hieße mich gegen eine Zahlung von 214 Euro pro Nacht ohne Frühstück willkommen. Also reserviere ich kurzerhand per Telefon auf dem Campingplatz in Sospel einen Zeltplatz für zwei Nächte, was mich einerseits insgesamt nur 22 Euro kostet, andererseits jedoch eine zusätzliche Hin- und Herfahrt mit dem Zug zwischen Peille und Sospel erfordert.
Das Abendessen ist ganz ok, es gibt neben einem leckeren Salat mit Ziegenkäse sogar ein Rumpsteak. Jedoch stelle ich wieder einmal fest, dass die Franzosen beim Steak unter Medium etwas anders verstehen als wir, nämlich in der Mitte noch fast roh, das wäre bei uns eher als Englisch durchgegangen.
Der Patron ist ein komischer Kauz: Er trägt stets einen Cowboy- Hut, vielleicht meint er, dass dies passend ist zum Namen des Hotels; dazu ist er sehr muffig, genau wie seine Partnerin, die ich ja vorhin schon kennengelernt hatte. Lorbeeren in den Beurteilungen lassen sich so nicht gewinnen, aber anscheinend scheint dies egal zu sein.
Als ich im Bett liege fängt es draußen an zu regnen. Das kümmert mich jedoch nicht, denn der Wetterbericht sagt für morgen wieder einmal Sonne voraus - wie so oft in diesem märchenhaften Sommer.

Glück des Tages: Die hohen Berge im Rückspiegel, das Ziel ist nahe.

Gelaufen: 22,4 Kilometer
Bergauf: 1.269 Hm 
Bergab: 538 Hm  
Höchster Punkt: Col de Turini (1.607m)
Übergänge: Col de Turini 
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...