Sonntag, 29. Mai 2022

4. Tag: 28. Mai 2022 Waxeneckhaus - Öhler Schutzhaus

Die Party-Nacht war der Albtraum. Nachdem die ausgezeichnete Band um kurz nach Mitternacht die letzte Zugabe gespielt hatte, war es natürlich nicht zu Ende. Erst nach halb 3 gingen die Letzten lautstark ins Bett.
Ich starte um 7 Uhr in den Tag und nehme nun ebenfalls keinerlei akustische Rücksicht. Der große Hund eines Partygastes ist froh um die durch meinen Gang in den Waschraum entstehende Kurzweil; kein Wunder, die haben den armen Kerl im Feierstress offensichtlich einfach vergessen, wovon ein deutlicher Haufen im Flur Zeugnis ablegt.
Als ich wie mit der Chefin gestern vereinbart um halb 8 zum Frühstück in den Gastraum komme ist noch alles dunkel; alles andere hätte mich in diesem Haus wirklich überrascht. Um 10 nach 8 versuche ich es wieder, und nun wird hier gewerkelt.
Dadurch ist es 9 Uhr, bis ich endlich Trinkgeldlos bezahlen und aufbrechen kann.
Nach diesen durchstandenen Widrigkeiten habe ich keine Lust auf die ausgearbeitete langweilige Teerstraßen- Route hinab nach Pernitz. Statt dessen folge ich weiter dem 01er in Richtung Hohe Mandling, das ist zwar ein ganzes Stück länger als die geplante Route, aber viel schöner. 
Es hat letzte Nacht einen Regenschauer gegeben, aber nun zeigt sich die Sonne zwischen den Wolken, dazu weht ein ordentlicher Wind. Die Markierung lotst mich zügig in den Wald und am Berghang entlang. Aussicht gibt es nur spärlich, Langeweile kommt in diesem abwechslungsreichen grünen Tunnel trotzdem nicht auf. Der Geyersattel, den ich nach einer Stunde erreiche, wirkt wie ein Windkanal, hier ist es richtig stürmisch. Leider wechselt der Weg von hier auf die dem Wind zu- und der Sonne abgewandten Seite, das macht die Bedingungen kühl und unangenehm.
Es geht bald steil hinauf bis zur Mandlinger Skihütte, wo ich eine Trinkpause einlege. Unterhalb dieser Selbstversorgerhütte sehe ich die erste Schlange der Tour, das kleine Geschöpf sonnte sich auf dem Weg und verdrückt sich kaum dass ich vorbei bin.
Es geht tierisch weiter: Ein Schild gibt Auskunft, dass "an dieser Stelle der letzte in Niederösterreich vorkommende Wolf erlegt wurde, 1866 durch einen "Erzherzoglichen Forstadjunkten".
Bald darauf habe ich die Hohe Mandling erreicht. Auf deren Gipfel stand bis vor 25 Jahren die Berndorfer Hütte. Das stattliche Haus brannte vor 25 Jahren ab und wurde nicht wieder aufgebaut. Geblieben ist ein Marterl und eine Bank auf der ich für eine kurze Pause Platz nehme. Heutzutage ist die früher offene Gipfellichtung rundum hoch bewaldet, Aussicht gibt es keine mehr.
Der Weg hinab ins Piestingtal ist 583 Meter Höhenunterschied lang und ziemlich steil, wird jedoch aufgelockert durch einen felsigen Grat den es zu überklettern gilt.
Unten an der Piestingbrücke endet geographisch der Wienerwald, am jenseitigen Ufer beginnen die Gutensteiner Alpen. Zunächst sind diese so harmlos wie die Nachbar- Gebirgsgruppe. Ich marschiere einen Waldweg empor bis zu einer markanten Aussichtsstelle, bei der die heute noch der Länge nach zu überschreitende Dürre Wand in ganzer Pracht vor mir liegt.
Hinter Waidmannsfeld wird es ernst: Der Weg zeigt unmissverständlich an, dass der Wienerwald eben nur ein Wald ist und hier die Alpen sind; die Ouvertüre ist zu Ende, jetzt beginnt die große Oper. Es geht steil den Berg hinauf zur Gauermannhütte, zweieinhalb weitgehend kompromisslose Bergauf- Stunden auf dem Wurzelsteig. Danach schmeckt die Apfelschorle an der winzigen Hütte umso mehr. Das Gipfelkreuz des Plattenberg direkt neben der Hütte zeigt eine herrliche Aussicht: Der nicht mehr ferne Schneeberg, in der anderen Richtung die Hochhäuser von Wien und davor das Waxeneckhaus, ganz klein und unglaublich weit weg - kaum zu glauben, dass ich da heute um 9 Uhr los bin.
Die nun folgenden anderthalb Stunden zum Öhler Schutzhaus sind die bisher schönsten der Tour: Herrlich einsam geht es auf schmalem Pfad ohne größere Anstrengungen immer auf oder am Kamm entlang und über den Katharinenschlag hinweg, der unscheinbare Gipfel ist die höchste Stelle heute; der Wald erlaubt häufige Ausblicke auf das Panorama rechts und links. Nur der Wind stört, er hat sich von unangenehm auf nervig gesteigert, am Ende muss ich die Regenjacke als Windstopper drüberziehen.
Dann liegt das Öhler Schutzhaus vor mir,  der lange Tag ist geschafft. Das Lager ist dreiviertel leer, ein Paar breitet sich gerade aus und ignoriert sehenden Auges meinen Gruß, so etwas kann ich ja leiden...
Nach der Dusche setze ich mich in den leeren Gastraum und komme mit Heinrich aus der Schweiz ins Gespräch. Er wandert nach seiner Pensionierung auch von Wien an die Côte d'Azur, jedoch abschnittsweise und in kürzeren Tagesetappen. Sein Ziel ist Nizza, und solange das Alter und die Gesundheit es mitmachen wolle er das durchhalten, aber ohne jeden Druck. In unserem Gespräch vergeht der Abend wie im Flug.  

Glück des Tages: Wie unfassbar weit das Waxeneckhaus hinter mir lag.

Gelaufen:  24,8 Kilometer 
Bergauf: 1.439 Hm
Bergab: 1.170 Hm
Höchster Punkt: Katharinenschlag 1.223m
Übergänge: Piesting (Fluss), Geyersattel

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...