Samstag, 28. Mai 2022

3. Tag: 27. Mai 2022 Peilsteinhaus - Waxeneckhaus

Es ist eine echte Schau, der Pilgergruppe beim Start zuzuschauen: Das Frühstück  mit den vielen Kindern kratzt an der Grenze zum Chaos, die Erwachsenen wollen zeitgleich mit Kaffee versorgt werden, und schon läuft einer der Organisatoren von Tisch zu Tisch und verkündet: "Start in 8 Minuten!", was natürlich noch mehr Hektik und Gewusel verursacht. Aber dann, wie durch ein Wunder, laufen kurz vor Ablauf der Startfrist alle Bahnen ineinander, die Kinder und Jugendlichen stehen mit gepackten Rucksäcken vor der Tür, die Mütter beißen zum letzten Mal in ihr Brötchen und trinken den letzten Schluck Kaffee  -  "Urlaub ist das keiner"  meint eine der Frauen zu mir beim Weggehen  -  dann bricht die Gruppe geschlossen und pünktlich auf. 
Ich starte 20 Minuten später in diesen sonnigen Tag und gehe ersteinmal zum Peilsteinkreuz hinüber  - das Gipfelkreuz über den schroffen Peilsteinwänden, dem Kletterparadies. Hier wirkt das Gesamtambiente aus Felswänden und Bergen im Panorama schon ein wenig alpiner als gestern.
Der Weg führt herrlich und aussichtsreich hinab nach Neuhaus, einem Kurort der k. und k.-Zeit, dessen einst prächtige Hotels zum Teil Lost Place-Charakter haben. Weiter geht es dann in Hörweite der Talstraße nach Weißenbach an der Triesting. Hier ergänze ich meine Wasservorräte beim örtlichen ADEG- Markt, um nicht wieder um Trinkbares betteln zu müssen. 
Der Weg zum Waxeneck ist im Ort auch schon ausgeschildert und mit dreieinhalb Stunden bemessen, dann wird die Markierung jedoch spärlicher und ich muss öfter als vorher die Wandernavi-App konsultieren. Überhaupt muss man feststellen, dass die Qualität der Wegekennzeichnung spürbar nachgelassen hat seit die Mariazeller nicht mehr "dabei" sind. Mit Hilfe der Navi-App gelange ich trotzdem auf die richtige Route, die irgendwann den besiedelten Talgrund verlässt und in den Wald einbiegt. Forststraßen und kurze Waldwegabschnitte sind nun bis zum Tagesende für diese Etappe prägend. Es geht zunächst anderthalb Stunden bergauf, dann an endlosen Stapeln gespaltener Holzscheite entlang, immer durch Wald.
Irgendwann höre ich Schritte hinter mir. Mich hat Sebastian aus Wien eingeholt,  der auch auf dem Peilstein übernachtet hat und dem Nordalpenweg bis über den Schneeberg hinweg folgen will. Wir laufen ab jetzt zusammen, und es entsteht eine schöne Unterhaltung über Gott und die Welt, die mit einer Ausrüstungsdiskussion beginnt und bei Jagd und Wohnmobilreisen noch nicht aufhört. Es ist schön, sich mit einem Gleichgesinnten zu unterhalten,  obwohl wir eigentlich beide unseren Weg bewusst alleine gehen.
Zweimal führt die Route aus dem Wald heraus. Einmal an der großen Lichtung des Roten Kreuzes, das sich als eher unscheinbares Kruzifix herausstellt. Und dann an der prächtigen Bergwiese des Hoheneggs, die von einem Hochsitz und einer üppig rot blühenden Kastanie beherrscht wird; hier ist wieder einmal der Blick aus den Bergen hinaus in die Ebene möglich.
Die Passhöhe des Straßenpasses "Auf dem Hals" passieren wir quer zur Straße,  dann sind es nur noch 40 Wanderminuten bis zum Waxeneckhaus, dass wir um Viertel vor 3 erreichen, viel früher als gedacht.
Von der Terrasse bietet sich wieder einmal ein Prachtblick auf den Schneeberg und den davor gelegenen Höhenzug der Dürren Wand, auf den es morgen geht.
Leider findet hier in der Hütte heute eine ausgedehnte Geburtstagsfeier mit Liveband statt. "Es könne länger lauter werden" meint der Hüttenwirt  "aber das haben wir dir ja bei der Reservierung gesagt  oder?" "Nö, davon war bei meinem Anruf im Januar nicht die Rede." "Ja, da wussten wir das noch nicht" ist die eher kurz angebundene Antwort. 
Sei es wie es sei. Sebastian hat mehr Glück: Er übernachtet eine Stunde weiter in einer Selbstversorgerhütte und hat mit der Abendunterhaltung hier nichts zu tun. Wir tauschen Adressen aus und verabschieden uns herzlich, danach schaue ich wieder alleine auf den Schneeberg.
Mit der Party heute ist es aber noch nicht genug mit den Kalamitäten, stelle ich doch per Internet fest, dass das Habsburghaus auf der Rax heuer erst Anfang Juni öffnet. Das wirft die Tourenplanung der nächsten Woche über den Haufen und erfordert unerwarteterweise eine größere Umplanung.
Die Hüttenwirtin hat dann jedoch eine gute Nachricht für mich: Ich habe wieder ein 2er Zimmer für mich alleine, und das liegt so weit wie es in einem kleinen Gasthaus möglich ist von den Feierlichkeiten entfernt. Hoffentlich kann ich so ein wenig schlafen.

Glück des Tages: Der Blick am Hohenegg mit der prächtigen Kastanie.

Gelaufen:  19,2 Kilometer 
Bergauf: 697 Hm
Bergab: 644 Hm
Höchster Punkt: Hohenegg 862m 
Übergänge: Triesting (Fluss), Straßenpass "Auf dem Hals"


Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...