Samstag, 28. Mai 2022

2. Tag: 26. Mai 2022 Höllensteinhaus - Peilsteinhaus

Nach beinahe komatösem Schlaf geht mein erster Blick prüfend zum Fenster hinaus: Blauer Himmel, Sonnenschein, ein wenig windig. Bestens, der Regen hat sich verdrückt. 
Gestern noch undenkbar, heute Realität: Frühstück draußen auf der Hüttenterrasse. Es gibt selbst gebackene Brötchen, dazu Käse und eine ganz feine Räucherwurst, besser kann es kaum in einen Tag gehen. Ich habe dann sogar noch die Ehre, mich ins Hütten- Gästebuch eintragen zu dürfen, und muss versprechen, von meiner Ankunft in Monaco zu berichten. 
Um halb 10 verlasse ich diese gastliche Hütte und beginne mein Tagwerk.
Rasch bin ich wieder unten auf dem Hauptweg und den Fernwanderrouten nach Mariazell und zum Bodensee. Nach wenigen Schritten weist dann ein Schild weg von der Forststraße auf einen Wanderweg, der in mäßigem Gefälle aus dem Wald in ein sonniges Tälchen hinunterführt. Würde nicht der mächtige Schneeberg den Horizont prägen, könnte diese Route zwischen den bewaldeten Hügeln auch durch den Schwarzwald oder das Oberbergische führen. Auf dem Wiesenweg bergab werde ich von einer dreiköpfigen Damengruppe eingeholt, die auf dem Weg nach Mariazell sind. Heute früh um 7 Uhr in Rodaun gestartet wollen sie in dreieinhalb Tagen ihr Ziel erreichen, dieser Zeitplan passt perfekt ins Zeitfenster des langen Wochenendes.
Am Schloss Wolfegg vorbei geht es ganz hinunter in das verschlafene Sittendorf und dahinter wieder hinauf bis zu einem Ponyhof. Die Sonne muss sich inzwischen den Himmel mit einigen harmlosen Wolken teilen, dazu gesellt sich ein kühlerer Wind, der für ein erfrischendes Wander- Mikroklima sorgt. 
Jenseits der dunklen Unterführung des Wiener Autobahn- Südrings wartet das erste Highlight des Tages: Der Friedhof von Heiligenkreuz. Neben einigen illustren Bürgern liegt hier Mary Vetsera begraben. Sie erlangte traurige Berühmtheit, als sie am 30. Januar 1889 als 17jährige unter nicht gänzlich geklärten Umständen erschossen wurde von ihrem Geliebten, dem Kronprinz Rudolph, Sohn von Kaiser Franz-Josef und Sisi - Romy Schneiders Paraderolle -, der sich danach das Leben nahm. Am Tatort, dem Schloss Mayerling, werde ich heute auch noch vorbeikommen.
Über einen üppig mit Altaren und Heiligenskulpturen ausgestatteten Kreuzweg geht es hinüber zum Stift Heiligenkreuz. Hier ist an diesem Feiertag einiges los, Autos, Busse, Gläubige und Ausflügler, der Garten des Gasthauses ist voll, so nehme ich im Innenraum Platz zu Apfelstrudel - sehr mäßig - und Apfel-Cider - klasse.
Die romanische Klosterkirche besichtige ich natürlich auch, dann mache ich mich wieder auf den Weg. Gegenüber des "Überdiözesanen Priesterseminars" verlässt der Fernwanderweg steil ansteigend den Ort. 
Eine unaufgeregte Wanderstunde später stehe ich in Mayerling vor dem örtlichen Jagdschloss, Schauplatz der vorgenannten Tragödie. Mehrere Tafeln geben Auskunft über den Kronprinzen; es ergreift mich sehr, wie unmenschlich hart seine frühkindliche Erziehung war, vielleicht prägend oder gar ausschlaggebend für seine spätere Tat?
Ich wende mich von der Vergangenheit ab in die sonnige Gegenwart. Die Route überquert das Flüsschen Schwechat und erreicht bald darauf das Dorf Maria Raisenmarkt, wunderbar gelegen unter den Waldhängen des Peilsteins. Wie in allen durchwandernden Ortschaften vorher auch gibt es hier keinen Brunnen, an dem man Wasser abfüllen könnte. So bitte ich in der örtlichen Pizzeria "Mafiosi" um das Füllen meiner Trinkflasche. Herzlichen Dank hierfür.
Kurz hinter dem Ort trennen sich die beiden Fernwanderwege: Geradeaus geht der 06er nach Mariazell, links der 01er hinauf zum Peilstein, der Weg, dem ich nun folge. 
In schönem Hochwald wieder mit Bärlauch-Aroma geht es bergan. Markanteste Stellen dieses schönen aber nahezu höhepunktlosen Aufstiegs sind die spärlichen Ruinenreste der Burg Arnstein sowie zwei Höhlen, vor denen in bemerkenswert subtiler Weise auf zweisprachigen Schildern gebeten wird,  diese nicht zu verunreinigen: "DON'T SHIT IN THE CAVE!"
Das am Rand einer Waldwiese gelegene Peilsteinhaus des Alpenvereins macht einen zünftig- sympathischen Ersteindruck, auch diese Hütte könnte so wie sie ist in den hohen Bergen stehen. Einige Kletterer sitzen in der Sonne - die Wände des unscheinbaren Peilsteins sind traditionell eine der Top-Adressen für die Wiener Kletterer -, Kinder spielen auf dem Spielplatz, und die junge Hüttenwirtin und ihre Helfer schauen aufmerksam aber unaufdringlich nach dem Rechten. 
Ich habe Glück und bekomme ein 2er Zimmerlager für mich alleine. So kann ich mich herrlich ausbreiten, ein echter Vorteil, denn meine Rucksack- Ordnung ist noch nicht in Routine übergegangen.
Dann setze ich mich bei einem Radler in die Abendsonne und will eben die entspannte Ruhe genießen, als eine vielköpfige Pilgergruppe die Bühne betritt: Als Vorhut eine Gruppe Jugendlicher, die den Aufstieg offensichtlich als Wettlauf absolviert haben, dann folgen in kleineren und größeren Trupps sukzessive die Eltern und kleinen Geschwister - auf einmal ist Leben in der Bude. Seit 40 Jahren, so erfahre ich im Laufe des Abends, pilgert diese Gruppe am Himmelfahrts- Wochenende nach Mariazell, die heutigen Eltern waren schon als Kinder dabei. Mich beeindruckt diese Pilgertradition auf dem Wiener Wallfahrerweg und der parallelen VIA SACRA sehr, viele Tausende sind hier jedes Jahr unterwegs in das steierische Pilgermekka; ein Jakobsweg im Kleinen.
Zum Abendessen gibt es zum ersten Mal auf meiner Tour Spaghetti Bolognese, zum Nachtisch einen leckeren Rhabarberkuchen, so lasse ich mir das gerne gefallen.
Als die Pilger später zur Abendandacht zum Gipfelkreuz spazieren, klettere ich auf den Aussichtsturm der Hütte. Der Schneeberg ist inzwischen deutlich näher gekommen, oder ich zu ihm. Der Rückblick zum Höllenstein ist leider durch die Berge verdeckt. 
Dann sinkt die Sonne zum und unter den Horizont, untermalt vom fernen Gesang des Gottesdienstes, ein fast Wagner- hafter Moment.

Glück des Tages: 
Orte wie Heiligenkreuz endlich zu sehen, die mich in der Planung jahrelang beschäftigt hatten.

Gelaufen: 21,3 Kilometer 
Bergauf: 708 Hm
Bergab: 626 Hm
Höchster Punkt: Peilsteinhaus 718m
Übergänge: Schwechat (Fluss)
Gipfel: Peilstein 718m



Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...