Drei Fernwanderwege beginnen im Wiener Westen: Der Wiener Wallfahrerweg von Wien nach Mariazell, der Voralpenweg Wien- Salzburg- Bregenzerwald und der Nordalpenweg Wien - Bodensee. Letzterem plane ich für knapp zwei Wochen zu folgen.
Der Tag hatte früh begonnen; nach vor Aufregung äußerst überschaubarer Nachtruhe war ich um zehn vor sechs im strömenden Regen zum Weilheimer Bahnhof gestapft und eine Stunde später in München in den Railjet nach Wien umgestiegen.
Kurz vor Mittag erreichen wir die österreichische Hauptstadt. Hier bin ich außer für einen Kurztrip nach Schloss Schönbrunn noch nie gewesen, trotzdem muss sich das heutige touristische Programm beschränken auf einen Besuch im Stephansdom. Ich zünde für das Gelingen meiner Tour und das gesunde Wiedersehen mit der Familie eine Kerze an. Es wird gerade eine Messe gefeiert, und ich kann noch das Vaterunser mitsprechen - perfektes Timing.
Nach dieser geistlichen Festigung beende ich die Stadtbesichtigung und fahre mit der U-Bahn zum Westbahnhof, da hier die Tram in den zu Füßen des Wienerwalds gelegenen Stadtteil Rodaun abfährt.
Ich erwische ein Fahrzeug, dass nur unwesentlich jünger ist als ich, und mein Eisenbahnerherz genießt die rumpelige Oldtimerfahrt in die Vorstadt.
Kaum setze ich dann an der Endhaltestelle die ersten Schritte meiner Alpenüberquerung, fängt es an zu regnen; erst nur als mäßiger Niesel, aber dann immer nerviger. Was bleibt mir übrig, ich ziehe die Regenjacke an.
Am nach wenigen Schritten erreichten Ortsausgangsschild von Wien mache ich das Startphoto für meine Tour.
In der Nachbargemeinde Perchtoldsdorf angekommen regnet es so arg, dass ich mir aus Frust im örtlichen SPAR eine Cola kaufe - und mir direkt vom Filialleiter einen Rüffel abhole, warum ich keine Maske trage; offensichtlich ist Österreich hier noch restriktiver als Deutschland.
An der Burg des Ortes kann man einen letzten Blick auf Wien werfen, dann beginnt der Weg aus der Ebene in die Alpen.
Erst geht es in lockerer Steigung durch ein Villenviertel aus dem Ort hinaus - hier stelle ich mich noch einmal für eine Viertelstunde unter eine Kastanie, um einen heftigen Schauer auszusitzen -, dann habe ich den Ortsrand erreicht.
Ich folge nun dem Mariazeller und dem gleichlaufenden Nordalpenweg in lockerem Wald bergan. Es geht am Zaun zu den Wiener Weinbergen entlang, dann wird es unerwartet knackig: Der Weg zur Kammersteiner Hütte folgt erst einer Forststraße, wird dann aber zu einem steil emporführenden Wanderweg, der mir unmissverständlich anzeigt, dass hier die Alpen beginnen. Rechts und links breitet sich unter den Bäumen der Bärlauch aus, dessen wunderbarer Duft jedoch wieder gänzlich unalpin wirkt.An der Kammersteiner Hütte hat der Nieselregen dann aufgehört, trotzdem sitzt niemand auf den Bänken vor dem Haus. Hier steht ein stählerner Aussichtsturm; von oben blickt man zurück auf Wien und die Ebene, in der anderen Richtung in das Hügelland des Wienerwalds. Der Schneeberg, von Wien aus der erste Zweitausender, ist in den niedrigen Wolken freilich nicht zu sehen.
Die beiden Weitwanderwege folgen nun einer breiten Forststraße in lockerem Bergauf und Bergab durch den Wald. Hinter der Kugelwiese mit seinem ebenfalls verwaisten Gasthaus begegnen mir die ersten Menschen seit Wien, ein Jogger und zwei Frauen mit Hunden, dies werden auch die letzten Begegnungen für heute bleiben.
Etwas später steht dann schon mein Tagesziel angeschlagen: Noch eine Stunde bis zum Höllensteinhaus. Der Fortststraßen-Charakter der Route wird sich bis dahin nicht mehr ändern, aber der Regen kommt zurück. Egal, nass geschwitzt bin ich eh.
Ein vertrauensseeliger Hase sitzt auf dem Weg und weicht erst in letzter Sekunde vor mir aus, vorher war auch ein Reh völlig unbeeindruckt von mir in der Wiese gestanden - Wildkontakt im Nieselregen.
Am Schluss wechselt die Steigung noch einmal auf anstrengend, dann ist durch die Bäume aber bereits die Fahne der Hütte zu sehen - wie immer das hochwillkommene Symbol des erreichten Tagesziels.
Eigentlich ist Montag bis Mittwoch Ruhetag, aber Andreas und Natalie sind heute schon hier oben und bereiten die Hütte auf das lange Himmelfahrts- Wochenende vor; ich dürfe gerne heraufkommen, hatten sie gemeint. So bin ich heute alleiniger Gast im liebevoll geführten Haus der Naturfreunde Wien.
Nach einer kurzen Dusche setze ich mich an den Fenstertisch im leeren Gastraum. Wieder zeigt sich, dass hier die Alpen anfangen oder enden, wie man will: Der Blick geht hinunter ins Wiener Becken auf Mödling und Baden, über der Ebene geht gerade ein heftiger Schauer nieder.
Später setzt sich Natalie zu mir. Die Hütte liegt zwar quasi am Stadtrand von Wien und nur auf 600 Metern Höhe, berichtet sie, sei aber trotzdem wie eine Berghütte zu betreiben: Wasser kommt ausschließlich aus der Zisterne und sei immer knapp, oft müsse es auch heraufgefahren werden. Strom gibt es nur reichlich wenn die Sonne scheint, Telefon und Internet dagegen nur in sehr schwankender Stärke. Da man quasi auf die Millionenstadt herunterschaue sei vielen Gästen nicht bewusst, dass sie hier oben in einer anderen Welt sind; nicht alles, was "unten" selbstverständlich ist, ist hier überhaupt verfügbar, das fängt schon bei der Kartenzahlung an. Aber dieses Losgelöst-sein mache ja genau den Reiz aus. Da kann ich nur zustimmen.
Nach dem Abendessen besteige ich den zur Hütte gehörenden Turm. Es hat aufgeklärt, und nun ist im Westen der ferne Schneeberg deutlich erkennbar, in vier Tagen werde ich dort oben stehen. Auch der Peilstein ist zu sehen, mein morgiges Ziel. In voller Farbenpracht geht schließlich die Sonne unter, herrliches Finale eines gelungenen ersten Tourentages.
Glück des Tages:
Der "exklusive" Abend auf dem Höllensteinhaus.
Gelaufen: 11,4 Kilometer
Bergauf: 514 Hm
Bergab: 145 Hm
Höchster Punkt: Höllensteinhaus 643m
Übergänge: Keine
Gipfel: Keine