Sonntag, 4. September 2022

95. Tag: 27. August 2022 Chialvetta - Rifugio Gardetta

Heute steht nur eine halbe Etappe auf dem Programm, da das Wetter zwar deutlich besser wird als noch vorgestern erwartet, jedoch trotzdem am Nachmittag von Regen und Gewittern geprägt sein soll.
Beim Frühstück sitze ich wieder mit den Hamburgern zusammen, und wieder macht es mit den Dreien viel Spaß.
Interessant an dieser Unterkunft ist, dass jedes einzelne für das hochwertige Frühstück erforderliche Bestandteil einzeln zu bestellen ist und vor allem einzeln an den Tisch gebracht wird, egal ob Kaffee, Käse oder Croissants - ja, echte leckere Croissants. Das könnte man deutlich ökonomischer gestalten, um nicht gar ein Buffet vorzuschlagen.
Ich packe anschließend mein Zeug zusammen, während die Hamburger schon unterwegs sind, wollen sie heute doch trotz der Wettervorhersage die lange Etappe nach Pontebernardo wagen.
Zunächst muss ich heute wieder die 300 Höhenmeter bis oberhalb von Pratorotondo zurück steigen. Noch ist das Wetter bestens, und in einer Dreiviertelstunde bin ich wieder in Höhe des Abzweigs.
Heute herrscht zum ersten Mal eine herbstliche Stimmung mit bunten Blättern, Hagebutten und anderen Früchten an den Sträuchern und einem Licht, das nicht mehr an den Hochsommer erinnert. Kurt Tucholsky kommt mir in den Sinn: „Eines Morgens riechst du den Herbst. Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig, es hat sich eigentlich gar nichts geändert - und doch alles.“ 
Weiter geht es hinauf auf einer geschotterten Fahrstraße. 
Mir kommt ein älterer Mann entgegen mit einem großen Eimer voller Pilze. Er strahlt über das ganze Gesicht, als ich ihn auf Italienisch- Französisch zu dieser reichen Ernte gratuliere.
Am Almboden der Grangia Calandra endet die Straße, und weiter geht es auf einem breiten Steig bergwärts hinauf.
Wie schon viele Male zuvor fällt auf, wie einfach die italienischen Bauern ihre Almen beziehungsweise ihre Kühe einzäunen. In Österreich findet man an vergleichbarer Stelle Zaunanlagen - gerne auch unter umfangreicher Beimischung von Stacheldraht - , die eher an die Berliner Mauer erinnern; hier sind dies sehr rudimentäre Zäune mit Seilen und dünnen Schnüren, die offensichtlich die Kühe ebenso gut auf den Almen halten.
Oberhalb der Baumgrenze öffnet sich dann die Landschaft zu weiten Almwiesen, und wenn man sich umdreht bietet sich ein herrliches Panorama.
Eine Bunkeranlage liegt direkt am Weg, darüber wie am Karnischen Höhenweg verrosteter Stacheldraht - Relikte aus einer kriegslüsternden Zeit.
Zum Glück friedlicher geht es zu am Passo della Gardetta. Hier mache ich lange Pause und schau hinunter auf eine Hochebene, auf der das Rifugio Gardetta liegt  und die Berge ringsum. Vor allem der Zuckerhut- artige Berg hinter der Hütte sticht ins Auge. 
Zum Rifugio hinunter führt mich dann eine aufwendige Militärstraße, die sogar über zwei Brücken führt.
Das Rifugio ist Teil einer alte Kaserne; von den früheren Anlagen sind viele noch erhalten, wie zum Beispiel die umfangreichen alten Artilleriestellungen, deren Mauern über die Jahrzehnte nur langsam verfallen.
In der sympathischen Hütte herrscht momentan Wasserknappheit, aber es wird explizit darauf hingewiesen, dass Bier in ausreichender Menge verfügbar ist. 
Ich kann als einziger ein 8er Lager beziehen, die Waschräume würden wegen des Wassermangels jedoch erst um 21 Uhr geöffnet, wird mir erklärt.
Noch scheint die Sonne, und ich setze mich für ein Bier und ein Stück Kuchen vor die Hütte. Man kann jedoch zusehen, wie sich die Berge ringsum mit Wolken verhüllen und sich bald auch der Himnel zuzieht. Spätestens jetzt brechen die letzten Tagesgäste auf.
Irgendwann fängt dann auch der Regen an, der bis zum Abend andauert. Da der zwischen zwei Gebäuden liegende Gastraum lediglich mit einem recht provisorisch wirkenden Dach und Folien gegen die Elemente geschützt wird, ist es dort zu kalt, um sich länger aufzuhalten. So sitze ich den Nachmittag in Daunenjacke eingehüllt auf meinem Bett, plane die nächsten Tage und trage den Blog nach.
Beim Abendessen sitze ich dann mit Lucia und Christian aus Cuneo und einem weiteren jungen Paar zusammen. Sie schlafen nicht in der Hütte, sondern in Zelten, die vor dem Haus unter Metallkuppeln aufgebaut sind; eine Übernachtungsform, die ich so noch nicht gesehen habe.
Zum Essen gibt es unter anderem phantastische selbstgemachte Gnoccis mit Käsefüllung, genau das richtige für hungrige Hiker.
Wieder in meiner Lagerkoje höre ich dem draußen trommelnden Regen zu, untermalt von einigen Donnern, und bin froh, hier in der leeren Hütte und nicht unter einem Blechdach zu schlafen.

Glück des Tages: Ein gemütlicher Wandertag zu einem sehr sympathischen Rifugio.

Gelaufen: 11,4 Kilometer
Bergauf: 964 Hm 
Bergab: 138 Hm  
Höchster Punkt: Passo della Gardetta (2.437m)
Übergänge: Passo della Gardetta
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...