Mittwoch, 31. August 2022

91. Tag: 23. August 2022 Rifugio Giacoletti - Rifugio Alpetto

Der erste Blick geht aus dem Fenster: Der Nebel ist weg, blauer Himmel, und der Monte Viso steht strahlend in der Morgensonne. 
Das Frühstück ist leider erwartbar dürftig und schnell erledigt. Bereits jetzt bilden sich draußen die ersten Quellwolken. Ich breche daher so schnell wie möglich auf zum Hüttenberg Rocce Alte. Beim Aufstieg treffe ich auf eine Steinbockfamilie, die sich jedoch von mir nicht aus der Ruhe bringen lässt. 
Als ich den Gipfel erreiche ist fast alles wieder eingehüllt. Lediglich Richtung Walliser Alpen befindet sich noch ein Wolkenfenster, und ganz kurz gibt sich auch der Monte Viso noch einmal die Ehre.
Zurück am Rifugio führt nun ein guter Steig in vielen Kehren ordentlich bergab. Es ist bald wieder sonnig, die Wolken hängen weiter oben an den hohen Bergen. 
Beim für mich nicht relevanten Abzweig Richtung Po- Quelle und Pian del Re mache ich kurz Pause, und noch einmal zeigt sich der Gigant über mir, ein monumentales Bild.
Der Weg führt an zwei milchigen Bergseen vorbei und vereinigt sich irgendwann mit dem von Pian del Re zum Rifugio Sella führenden Hauptweg, auf dem auch der 'Giro del Viso' verläuft.
Ein kurzes Stück ist als steinschlaggefährdet gekennzeichnet, es passiert aber zum Glück nichts.
Danach ist Durchhaltewillen gefragt, denn Blockfelder und unangenehm viel Schotter auf dem Weg prägen die nächste Stunde. 
Aber irgendwann ist es geschafft: Ich stehe am Colle del Viso, vor mir liegt der Lago Grande di Viso und dahinter das Rifugio Sella, ganz kurz sogar beinahe sonnenbeschienen.
Diese Hütte ist legendär, startet man doch von hier aus auf den Monte Viso. Benannt ist die Hütte nach Quintino Sella, dem Gründer des italienischen Alpenvereins. Es ist mir eine Ehre, mich mit meiner Tour des Alpes ins Hüttenbuch dieses prominenten Stützpunktes einzutragen.
Ich mache hier auch eine Pause mit Kuchen und Cola; richtig gemütlich scheint die Hütte jedoch nicht zu sein. 
Beim Aufbruch hebt sich ein wenig der Nebelschleier, und es gelingt ein halbwegs passables Bild der Hütte.
Die GTA und der 'Giro del Viso'- Weg gehen nun exakt nach Süden weiter. Am Abzweig des Monte Viso- Steigs kommen mir vier abgekämpfte italienische Bergsteiger entgegen. Sie sind heute morgen um halb vier am höchsten Parkplatz losmarschiert, und kommen erst jetzt wieder herunter. Der Stolz und die Anstrengung steht ihnen in den Gesichtern. 
Der Monte Viso war für mich nie ein Ziel. Der Weg dort hinauf ist zwar technisch nicht übermäßig schwierig, trotzdem ist gutes bergsteigerisches Können in dünner Luft vonnöten, vor allem beim Abstieg, bei dem man viel Luft unter den Füßen hat und der ja oft im Nebel erfolgen muss. 
Auf meinem weiteren Weg erfreuen mehrere Bergseen das Auge. Während ich den ersten fotographiere, werde ich von hinten gefragt, ob ich Harry Potter höre; hier muss ich einflechten, dass ich beim Wandern seit vielen Wochen die von Rufus Beck gelesenen Hörbücher über den Handy- Lautsprecher höre und nun beim letzten Band angekommen bin. Es ist eine Schweizerin, die mich hier kurioserweise mitten unter Italienern und Franzosen auf Harry Potter anspricht; sie ist mit ihrer Freundin für zwei Wochen auf der GTA unterwegs. Die beiden haben heute ihre Tour begonnen.
Zum Rifugio Alpetto, das ein wenig abseits und unterhalb der Hauptroute liegt, muss ich ein gutes Stück absteigen, aber es lohnt sich: Die Hütte ist viel kleiner als das große Rifugio Sella und erweist sich als sehr gemütlich. 
Zudem ist das Rifugio nur mäßig belegt; ich erwische ein 6er Zimmer, das ich mir nur mit einem Kollegen teilen muss. Dieser erweist sich jedoch als absoluter Unsympat, er grüßt noch nicht einmal als ich die kleine Kammer betrete.
Beim Abendessen müsste ich mir mit diesem Menschen den Tisch teilen; das lehne ich dankend ab und frage die beiden mir schon bekannten Schweizerinnen von vorhin, ob ich mich bei ihnen dazusetzen könne. 
Als es draußen langsam dämmert gehe ich noch einmal vors Haus, vielleicht ist der Monte Viso ja schon wieder wolkenfrei. Dieser Plan klappt zwar nicht ganz, da der hohe Herr sich weiterhin bedeckt hält, jedoch ist das abendliche Bild der Hütte auch so sehr stimmungsvoll.
Als ich danach in die Schlafstube komme setzt mein Zimmergenosse noch einen drauf: Er liegt wortlos mit aufgezogener FSP2- Maske im Bett. Das ist zumindest sicher für mich, bleiben doch so seine misantropischen Bazillen bei ihm.

Glück des Tages: Immer wenn sich der Monte Viso zeigte.

Gelaufen: 10,5 Kilometer
Bergauf: 446 Hm 
Bergab:  931 Hm  
Höchster Punkt: Rocce Alte (2.837m)
Übergänge: keine
Gipfel: Rocce Alte 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...