Das Frühstück ist wieder einmal extrem beschränkt in der Auswahl. Das bessert sich zumindest leicht, als ich statt der abgepackten Billig- Marmelade nach Nutella frage; ich bekomme ein fast volles Familienglas und ein zweites Messer gebracht; das ist zwar immer noch kein Frühstück für Champions, aber gehaltvoller als das Standardangebot. Unglaublich, dass man in diesem Albergo ein Frühstück vorgesetzt bekommt, das an eine extrem abgelegene Berghütte erinnert. Vielleicht ist es aber auch wie schon beim Abendessen das hiesige Budget- Programm für GTA- Wanderer.
Heute steht im Prinzip die umgekehrte Version der gestrigen Etappe auf dem Programm: Diesmal geht es die 1.600 Höhenmeter rauf und die 1.200 runter.
Nach dem Gewitter gestern Abend ist es heute wieder sonnig, aber die ersten Quellwolken sind schon um 8 Uhr zur Stelle und umlagern die Bergkämme. Kein wirklich gutes Zeichen, und auch der Alpenwetterbericht berichtet von möglichen Schauern am Nachmittag und später vielleicht Gewittern.
Also gilt es, keine Zeit zu verlieren. Vom Albergo aus gehe ich zum Befüllen meiner Flaschen kurz nach rechts zum plätschernden Brunnen vor dem leider noch geschlossenen Alimentari, dann links die Talstraße hinab, bis nach einigen hundert Metern die GTA im rechten Winkel nach Süden abzweigt.
Nach der Überquerung der Stura di Val Grande teilen sich die Wanderwege auf, 3:20 Stunden gibt das Schild für den Weg hinauf zum Colle del Trione an; wieder mal ein reiner Phantasiewert, der Rother- Führer nennt viereinhalb Stunden bis oben an, und auch das ist schon ein ambitionierter Wert. Kaum 30 Meter entfernt ist die Zeit wohl auch den Wegmarkierern suspekt, oder es hatte ein anderer Schilderbeschrifter Dienst; jedenfalls werden nun bis oben die korrekteren viereinhalb Stunden ausgewiesen, und auch mein Ziel Balme ist jetzt mit einschüchternden 8:10 Stunden aufgeführt.
Im Wald am Hang entlang windet sich der Steig nach oben, Pialpetta oder den Abstiegsweg von gestern kann man zwischen den Bäumen kaum erahnen.
Dann habe ich den ersten Almboden erreicht, die Gias Nuovo, die gleich einem Amphitheater von einer hohen Felswand umrahmt wird, über die malerisch ein Wasserfall herunterkommt. Über dieser Wand liegen die weiteren Böden, über die mein Weg führt; die Almhütten von Ghuas di Mezzo kann man schon gut erkennen. Leider ist die ganze Region dort oben schon von Wolken eingehüllt. Macht das Sinn, da hoch zu steigen? fragt leise eine zweifelnde Stimme in mir. Eine andere, etwas lautere, sagt: In Wolken gehüllte Übergänge hatten wir ja schon; für eine andere Route ist es eh schon zu spät, also könnte ich auch später noch umkehren; mehr als Nasswerden kann man nicht.
Ich komme erstaunlich schnell hinauf zu den genannten Hütten. Oberhalb ist der Weg stellenweise gut erkennbar, und dort sind drei oder vier Leute unterwegs. Einer winkt mir zu, sind das vielleicht die Berliner? Die könnten, wenn sie auf der GTA geblieben sind, heute wieder mit mir gleichauf sein, denn Bernd hatte ihren Eintrag im Hüttenbuch des Posto Tappa in San Lorenzo einen Tag vor seinem gesehen.Ich stiefele hinterher und bin bald am obersten Almboden, Gias dei Laghi genannt, angelangt. Die Wolken scheinen nicht mehr so dicht zu sein, zwischendurch sind sogar Ansätze von blauem Himmel zu erahnen, freilich eher über dem Tal.
Hier oben liegen auch zwei Bergseen, an denen meine Vorgänger rasten. Es sind leider nicht die Berliner, sondern Italiener, und sie gehen auch nicht den Weg weiter hinauf, sondern wenden sich nach einem Selfie mit See wieder talwärts. Also bin ich wahrscheinlich der einzige, der heute nach Balme will.
Ich schaue noch einmal nach den Wolken: Nach Gewitter schaut das überhaupt nicht aus, über mir nicht und ringsum nicht. Also weiter.
Der Weiterweg soll nun ein wenig schwierig zu finden sein, da er abrupt die Richtungen wechselt und nicht gut markiert sein soll. Ich habe wohl Glück: Die Markierungen sind ausreichend bis reichlich vorhanden und gewährleisten die Orientierung.
So komme ich gut bis zum Blockfeld unter dem Colle di Trione.
Durch die Felsen ist ein wenig Balancieren und Handanlegen angezeigt, dann führen steile Serpentinen durch Schotter und Schiefer bis ganz hinauf.
Hier wabern die Wolken von beiden Seiten, die Sicht ist nahe Null; also hält mich hier nach einer kurzen Schokoladenpause im Stehen nichts mehr, und ich beginne den Abstieg durch den Nebel ins Val di Ala.
Wie gestern öffnen sich Nebel und Wolken nach einer Weile und über dem Talgrund scheint wieder die Sonne.
An der Alpe Valsuera fehlen die Markierungen, prompt laufe ich hier an einer Abzweigung vorbei, weil mich die vielen Kuhpfade verleitet haben.
Stur der Navi- App folgend bin ich bald wieder auf Kurs, aber irgendwie scheint den Markierungsmalern hier die Lust oder die Farbe ausgegangen zu sein. Kurz darauf sind die rotweißen Farbklekse nämlich wieder da wo man sie braucht.Mit qualmenden Socken unten im Tal und in der Sonne angekommen wartet noch ein saftiges Stück Teerstraße mit nervigem Gegenanstieg auf mich, dann ist Balme erreicht.
Erstes Haus am Ortseingang ist die kleine Brauerei Briga, die hier ihr Bier fresca di rocca, also frisch aus dem Felsen, braut.
Das Post Tappa liegt im Ortsteil Cornetti, ich drehe jedoch noch eine kurze Runde über die Dorfstraße durch den hübschen Ort.
Das Posto Tappa ist wegen der Hauptferienzeit ausgebucht. Daher bin ich vom Wirtsehepaar im Nachbarhaus Villa Teja einquartiert, wo ich ein riesiges gemütliches Zimmer mit Balkon beziehe. Das Haus wird von Signora Eugenia geführt, einer reizenden älteren Dame. Ich fühle mich sofort wohl hier.
Das leckere Abendessen im Posto Tappa nebenan kommt sogar an das im Belvedere oder im Albergo Genziana heran. Besonders die Antipasti, aber auch die Ravioli im Mandelmantel, sind Weltklasse.
Dazu trinke ich natürlich das lokale Briga- Bier. Besser geht es fast nicht.
Auf dem Weg zurück zur Villa Teja fällt die abendliche Beleuchtung von Balme ins Auge, welch ein Tagesabschluss.
Glück des Tages: Wieder einmal das sensationelle Abendessen.
Gelaufen: 21,4 Kilometer
Bergauf: 1.594 Hm
Bergab: 1.252 Hm
Höchster Punkt: Colle di Trione (2.498m)
Übergänge: Stura di Val Grande (Fluss), Colle di Trione
Gipfel: keine