Sonntag, 14. August 2022

76. Tag: 08. August 2022 Noasca - Ceresole Reale

Einer Eingebung folgend beeile ich mich mit dem Verlassen der Ferienwohnung und bin einige Minuten früher an der Bushaltestelle als der Fahrplan es eigentlich erforderlich macht. Kaum da, muss ich dem deutlich mehr als überpünktlich heranbrausenden Bus schon ein unmissverständliches Zeichen zum Anhalten geben. Heute früh hat der Fahrer ausreichend Wechselgeld, so dass ich diesmal den geforderten Tarif bezahle. Eine Maske trägt wieder niemand im Bus.
Dass er deutlich vor Plan unterwegs ist stört den Fahrer offenbar nicht im Geringsten; er brettert unverdrossen die Straße hinauf und hat bis Noasca noch weitere zwei Minuten herausgefahren.
Dort ausgestiegen wähle ich als erstes wieder die Telefonnummer des Albergo Gran Paradiso. "Si" lautet die kurze Antwort auf meine in höchst gebrochenem Italienisch geäußerte Frage, ob ich heute dort übernachten könnte. So einfach kann manchmal eine Problemlösung sein. Da ich gerade im Fluss bin frage ich gleich noch für morgen in Pialpetta nach, mit dem gleichen positiven Ergebnis.
Zwischen den beiden Telefonaten kommen meine Übernachtungskolleginnen aus Talosio vorbei. Sie gehen heute auch nach Ceresole Reale und beenden da ihre diesjährige GTA- Tour. Nach einem kurzen Austausch machen sie sich auf den Weg.
Ich kehre dagegen noch einmal im Alimentari ein und kaufe wieder Pizza für die Mittagsrast, dann starte ich auch.
Zunächst muss man der Straße folgen, die direkt hinter Noasca vier enge und steile Serpentinen aufweist. Kurz danach biegt die GTA in den Wald ab.
Sie führt mich in ordentlicher Steigung über einen alten Saumweg einen Hang hinauf. 
Weiter oben stoße ich noch einmal an eine schmale Straße, an der einige Wochenendhäuser liegen und die an einem kleinen Parkplatz endet. 
Danach beginnt eine Reise in die Vergangenheit: Der Weg führt durch Dörfer und Siedlungen, die früher ganzjährig bewohnt waren und jetzt verlassen, teilweise verfallen und zugewachsen sind.
Im Dorf Maison steht eine kleine Kirche, und hier ist sogar die alte Dorfschule erhalten; man kann durch die Fenster auf das Lehrerpult und die alten Schulbänke schauen. Wie schon in Campello Monti kommt die Frage auf, wieviele Menschen hier am Berg gelebt haben, dass es eine Schule gab. Und was haben die Dorfbewohner im Winter gemacht, wenn hier am Berg alles eingeschneit und man wochenlang von allem abgeschnitten war?
Am Gegenhang kann ich einmal die Talosio- Damen entdecken, später kommt mir ein Wanderer entgegen und ich sehe einen weiteren von fern - ansonsten herrscht Einsamkeit auf dieser Etappe der GTA.
Über einem Talschluss rauscht ein sehenswerter Wasserfall, die GTA führt jedoch vorher über eine ziemlich morsch anmutende Brücke; ich achte genau darauf, nur auf die Stellen mit Querverstrebungen zu treten.
Anschließend wird noch einmal etwas für das Höhenmeterkonto getan, denn in vielen großzügigen Kehren geht es eine Stunde lang durch lockeren Wald bis auf 1.850 Meter und zu mehreren schönen Ausblicken hinauf. Tief unten liegt Noasca, in der anderen Richtung gegenüber der Kamm, den es morgen zu überqueren gilt, und irgendwann schimmert auch der Lago Ceresole hellblau durch die Bäume.
An einer Almruine beginnt etwas später der Abstieg nach Ceresole Reale, der ohne weitere Panoramen wieder in mehreren Kehren hinabführt.
Da der Bus zurück nach Noasca erst in anderthalb Sunden fährt, laufe ich noch bis zur Staumauer des Sees. Dieser ist dreiviertel voll, ein viel attraktiverer Anblick als die bisherigen Seen. Anschließend möchte ich mich eigentlich irgendwo auf eine Cola und vielleicht ein Stück Kuchen hinsetzen, jedoch findet sich in fußläufiger Entfernung nichts Passendes. Von der Terrasse eines Gasthofes werde ich herunter komplimentiert mit der Begründung, dass dies ein Ristorante sei und nur ein Getränk eine Sache für eine Bar sei; grazie mille...
So warte ich an der Bushaltestelle im Schatten. Wieder hat der Bus kein Wechselgeld an Bord, diesmal nimmt mir der Fahrer einfach alles verfügbare Kleingeld ab, damit fahre ich 1,40 Euro unter dem Tarif.
An der Bar des Albergo Gran Paradiso in Noasca scheint meine Reservierung noch nicht angekommen zu sein. Der Mitarbeiter muss nach vergeblichem Blick ins Terminbuch seinen Chef anrufen. Schlussendlich bekomme ich ein tolles Zimmer mit einem richtig schönen und modernen Badezimmer. Ich fühle mich dort sofort sehr wohl.
Nach den täglichen Verrichtungen kann ich mich endlich für eine Cola vor das Albergo setzen. Kaum habe ich Platz genommen, werde ich mit "Hallo Christian" angesprochen. Es ist Bernd, der heute, einen Etappentag hinter mir liegend, von San Lorenzo aus hier angekommen ist.
Wir tauschen uns über die letzten Tage aus - er war ähnlich schockiert über das schreckliche Posto Tappa in Talosio - und erzählen uns einige Anekdoten unserer Alpenüberquerungen. Wenn ich vom Hochschwab erzähle oder vom Karnischen Höhenweg, dann ist das zwar einerseits unheimlich präsent, fühlt sich aber auch irgendwie so an, als würde ich aus einem zurückliegenden Urlaub berichten.
Dann ist bald Essenszeit. Dieses verläuft ein wenig chaotisch mit längeren Wartezeiten, so dass wir beim Nachtisch fast alleine im Gastraum sitzen. Aber lecker wars, und man hat ja sonst nichts vor.

Glück des Tages: Zwei erfolgreiche Anrufe auf Italienisch.

Gelaufen: 14,9 Kilometer
Bergauf: 1.061 Hm 
Bergab: 569 Hm  
Höchster Punkt: Prà del Cres (1.964m)
Übergänge: keine
Gipfel: keine

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...