Sonntag, 14. August 2022

75. Tag: 07. August 2022 Locana - Noasca

Das Ausschlafen klappt schon einmal sehr gut an meinem Ruhetag, es ist kurz vor neun, als ich wach werde.

Als erstes packe ich alles in die Waschmaschine, was gestern noch nicht dabei war, zum Beispiel Hüttenschlafsack und Reservehose. Dann setze ich mich mit ein paar Keksen auf den Balkon.

Doch kaum dass ich sitze fängt die Nachbarin von unten an zu telefonieren; sie sitzt dabei genau unter mir auf ihrer Terrasse, und leise ist für sie wohl ein Fremdwort. Könnte ich Italienisch, wüsste ich jetzt auch, was am anderen Ende der Leitung gesagt wird. Kaum ist das Telefonat beendet bekommt sie Besuch. Dass dabei auch die eine oder andere Zigarette geraucht wird, geht mich ja eigentlich nichts an, aber der Rauch nimmt in der engen Gasse den gleichen Weg wie der Schall: Nach oben zu mir.

OK, sage ich mir, hältst Du das den ganzen Tag aus? Den ganzen Ruhetag wohlgemerkt? Ich denke nein...
Also muss ein Plan B her. Heute schon nach Noasca wandern? Allzu weit ist das nicht. Oder als Flipflop von Noasca hierher? Dann ginge es heute nur bergab.
Ich hänge die Wäsche auf, packe Zelt, Isomatte und Schlafsack aus dem Rucksack und bin startklar.
Ein Bus fährt erst heute Nachmittag, also laufen und zurück fahren.

Der Wandertag beginnt mit einer kleinen Feldstraße bis in den Nachbarort, wo ich mir bei einem Sonntags geöffneten Alimentari ein Stück Blechkuchen kaufe. Es folgt ein gutes Stück Hauptstraße, einen längeren Tunnel kann ich problemlos umgehen. Ein paar Dörfer durchquere ich, dann wechsle auf die andere Flussseite, weil es dort einen Wanderweg gibt. Ein Dorf weiter bekomme ich den Hinweis, dass der weitere Weg in schlechtem Zustand und nicht zu empfehlen sei; Pfadfinderei hatte ich ja gestern schon zur Genüge, also wieder Hauptstraße.
Wenn es ein Geräusch gibt, das eine Wanderung durch italienische Dörfer oder entlang der Gehöfte beschreibt, dann ist das die stetig akustische Untermalung durch die allgegenwärtigen aufgeregt kläffenden Hunde. Hier hat fast jeder einen Hund, und wütendes Bellen ist offensichtlich ein erwünschter Wesenszug; selbst aus einem gutmütigen Labrador wird hierzulande eine Kläfftöle. Mich hätte das bei meinem Hund damals wahnsinnig gemacht.
Inzwischen ist der sonnige Teil des Tages vorbei, und wie angekündigt sind über mir in den Bergen die ersten vereinzelten Donner zu hören.Als ich endlich auf die von San Lorenzo herunterkommende und von hier bis Noasca im Tal verlaufende GTA treffe fängt es sogar an, leicht zu nieseln, hört aber auch bald wieder auf.
Vor mir sind auf einmal lachende Stimmen zu hören, und bald treffe ich auf eine lustige Wandergruppe, die eine Weinpause einlegt. Den Wein trinken sie aus Bechern, die sie mit einer Schnur um den Hals befestigt haben, ein ziemlich skurriler Anblick. Ich bekomme auch Wein angeboten, lehne aber mit freundlichem Dank ab.  Was es mit dieser Gruppe auf sich hat erfahre ich im nächsten Dorf: Zum Auftakt des Ferragosto, der Hauptferienzeit, veranstaltet die Gemeinde Noasca am heutigen Sonntag eine Wanderung "De frazione al frazione", also von Dorf zu Dorf durch alle Gemeindeteile von Noasca. Und in jedem Dorf ist ein Umtrunk organisiert. Groß und Klein ist hier unterwegs, wie bei einem Volkswandertag, und jeder trägt solch einen Becher um den Hals.
Dann komme ich nach Noasca. Im trüben Licht der heute tief hängenden Wolken gibt der Ort ein eher trauriges Bild ab, bei Sonne ist es hier gewiss viel schöner.
Ich habe nun eine gute Stunde bis mein Bus kommt. Zunächst besuche ich den hiesigen Alimentari und kaufe mein Abendessen ein, der Einfachheit halber wieder Nudeln und Pesto, sowie ein paar Aprikosen.
Anschließend versuche ich, für morgen in Ceresole Reale einen Übernachtungsplatz zu reservieren. Jedoch ist das Posto Tappa ausgebucht, wobei es wohl daran liegt, soviel bekomme ich von der italienischen Unterhaltung am anderen Ende mit, dass ich alleine bin und nur ein Doppelzimmer frei ist, was nicht einzeln vermietet werden soll. Zweiter Versuch ist der Campingplatz, jedoch ist auch dieser voll. Für weitere Recherchen fehlt mir dann ein verlässliches Netz.
Etwas frustriert laufe ich einmal die Dorfstraße auf und ab, durch die sich der sonntägliche Ausflugsverkehr wälzt beziehungsweise staut; zwischen den eng stehenden Häusern kommen nur PKWs ohne Schwierigkeiten aneinander vorbei, begegnen sich dagegen zwei Lieferwagen oder Wohnmobile, stockt es sofort.
Da der Regen wieder anfängt suche ich Schutz unter der Markise des Souvenirladens und komme mit Renata, der Besitzerin, ins Gespräch, mit Händen und Füßen und dem Google- Übersetzer. Trotz der unvermeidlichen Pausen eine sehr nette Unterhaltung. Als der Bus kommt, wünscht sie mir gutes Gelingen für den Rest meiner Tour.
Der Busfahrer hat kein Wechselgeld und nimmt mich so mit, dieses Laissez Faire ist ebenso erstaunlich wie sympathisch.
Wieder zurück in meiner Ferienwohnung packe ich meine von der heutigen Tour verschwitzten Klamotten noch einmal in die Waschmaschine, man gönnt sich ja sonst nichts, koche meine Pasta und recherchiere ein wenig wegen Übernachtungsmöglichkeiten. Bei booking.com gibt es nichts im Angebot; jedoch hatte ich vorhin die eigentlich offensichtliche, nämlich das Hotel in Noasca, gar nicht bedacht. Hier geht leider keiner ans Telefon, also werde ich es morgen früh vor Ort probieren, wenn ich dort in die nächste Etappe starte.
Dann beende ich diesen eigentlichen Ruhetag. War etwas anders geplant, ich bin aber trotzdem zufrieden.

Glück des Tages: Aus den Umständen heute das Beste gemacht zu haben.

Gelaufen: 14,8 Kilometer
Bergauf: 457 Hm 
Bergab:  67 Hm  
Höchster Punkt: Noasca (1.058m)
Übergänge: keine
Gipfel:  keine

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...