Nachdem die italienischen Bergfreunde um halb 12 endlich Feierabend gemacht hatten, starten sie unter Gelächter um 4 Uhr in der Früh eine Prozession zur Toilette. Da die Hütte extrem hellhörig ist, bekommen alle anderen das in bester Qualität mit. So ist die Nacht leider trotz Einzelzimmer nicht wirklich erholsam.
Nach dem Frühstück wandere ich bei bestem Wetter noch einmal zum Colle de la Malagna Grande hinauf, in der Hoffnung, den Mont Blanc ohne Wolken zu sehen. Und ich werde nicht enttäuscht: Sowohl der höchste Berg der Alpen als auch der Gran Paradiso stehen wolkenfrei im besten Licht. Besser kann man sie nicht sehen.
Hochzufrieden steige ich wieder zur Hütte hinab und an ihr vorbei ins Tal. Zweieinhalb Stunden brauche ich für den endlos erscheinenden Abstieg nach Piedicavallo. Das Dorf ist heute wie herausgeputzt, es findet ein Fest mit Blasmusik und vielen Besuchern statt. Ich habe jedoch noch einiges vor und wandere gleich weiter nach Rosazza. Die GTA wählt für diesen Weg einen langen Aufstieg zu einem 400 Höhenmeter höheren Rifugio mit direkt anschließendem Wiederabstieg. Da man Rosazza jedoch statt dieses über dreistündigen Ausflugs auch mit einem halbstündigen Fußmarsch auf der Talstraße erreichen kann, wähle ich die kürzere Variante, immerhin möchte ich heute ja noch nach Oropa kommen; und für Umwege ohne Streckenertrag fehlen mir Zeit und Lust.
Rosazza ist ein hübscher kleiner Ort, der mit einigen interessanten Gebäuden punkten kann. In einem kleinen Park schaue ich einigen älteren Herrschaften ein paar Minuten beim gekonnten Bocciaspielen zu, dann gehe ich weiter.
Bald zweigt die Straße zum Sanctuario San Giovanni ab und führt zügig bergauf, die GTA verläuft ein wenig unterhalb dieser Straße im Schatten, eine Wohltat angesichts der Temperaturen.
Ich passiere auf diesem Fußweg durch den Wald einige Kapellen, dann werden Stimmen lauter: Vor dem Kloster findet ein großes Kinderfest statt. Den Innenhof drs Klosters betrete ich durch einen großen Torbogen. Es parken hier im Hof am heutigen Sonntag viele Autos, und das Kloster- Ristorante ist gut gefüllt. In der Mitte des Hofes plätschert ein mehrstrahliger Brunnen, an dem ich ersteinmal einen Trinkstop einlege, bevor ich zur Klosterkirche weitergehe. Diese wirkt von außen recht unscheinbar, ist von innen jedoch eine der schönsten Kirchen entlang meiner gesamten Tour: Hell, trotz ein wenig Prink nicht überladen und in sich sehr stimmig.
Hier endet laut den GTA- Führern eigentlich die Etappe, aber ich möchte ja noch weiter. Die Weg zur Wallfahrtskirche Oropa geht hinter dem Kloster auf der Straße weiter bergauf, mit schönen Rückblicken auf das Sanctuario San Giovanni.
Dann gabelt sich die GTA: Zwei Routen führen nach Oropa, das jenseits eines Bergrückens liegt. Ein Weg geht ohne größere Höhenunterschiede außen um den Bergrücken herum, der andere über den Berg. Ich entscheide mich für eine dritte, nicht ausgeschilderte Variante: Die Straße führt etwas oberhalb durch einen schmalen Tunnel, der auf 1.488 m Höhe gelegenen Galleria di Rosazza, 1893 - 1897 gebaut wurde, um den Kutschen der Pilger den Weg zwischen den beiden Klöstern zu erleichtern. Die Straße ist für Autos gesperrt, also müsste das kleine Abenteuer des Tunnelmarsches gut funktionieren.
Zum Tunneleingang, an dem auch ein kleines Gasthaus liegt, geht es nun einige Serpentinen der Straße hinauf. Dann liegt der schnurgerade dunkle Tunnel vor mir, und ich laufe auf das Licht an seinem Ende zu, ein eigenartig spannendes Gefühl, auch als mich unterwegs ein Radfahrer überholt.
Dann trete ich am jenseitigen Tunnelausgang wieder in Licht und Wärme. Hier stehen einige Leute und betrachten den Tunnel, jedoch geht keiner hinein.
Nach Oropa muss ich nun zwei lange Kehren der Straße auslaufen. Leider ist der Blick auf die gigantische Anlage zugewachsen, ich bekomme ihn aber weiter unten auf einem Spazierweg geboten. Beeindruckend und Unwirklich, das sind meine spontanen Adjektive
Der ganze Komplex ist gigantisch mit seinen vielen Gebäudeflügeln, zwei großen Innenhöfen und der monumentalen Basilika, die alleine schon gereicht hätte als Superlativ.
Über 500 Menschen können hier übernachten; diese Nacht bin ich einer von ihnen. Um zum Zimmer zu gelangen bekomme ich an der Rezeption einen Lageplan ausgehändigt. Mein erstes Zimmer ist leider noch nicht ssubergemacht, aber das zweite passt. Kein Schnickschnack, ein großes Bett, ein Stuhl, ein Bad - das wars.
Ich stelle nur meinen Rucksack rein breche direkt wieder auf für eine abendliche Erkundung Die letzten Tagestouristen sind im Aufbruch, langsam kehrt Stille ein. Die Basilika, in der vorhin noch eine bis auf den letzten Platz besuchte Messe gefeiert wurde, ist nun leer. Ich stehe alleine vor der schwarzen Madonna, dem Heiligtum dieses Ort. Eigentlich sollte die Kirche schon seit zehn Minuten geschlossen sein, aber der Wächter macht für mich und einige Andere eine Ausnahme. Wieder draußen lasse ich mich durch die Anlagr treiben. Je dunkler es wird, desto spannender werden die Perspektiven.
Ich kundschafte zum Schluss noch die Frühstücksmöglichkeiten für morgen aus, dann gehe ich in meine Kammer.
Glück des Tages: Mont Blanc und Gran Paradiso im Morgenlicht.
Gelaufen: 27,9 Kilometer
Bergauf: 833 Hm
Bergab: 1.822 Hm
Höchster Punkt: Colle de la Malagna Grande (2.390m)
Übergänge: keine
Gipfel: keine