Donnerstag, 7. Juli 2022

41. Tag: 04. Juli 2022 Bozen - Lana

Das Hotelzimmer ist klein, modern, zweckmäßig und absolut ausreichend. Ich habe prächtig geschlafen; freilich erst, nachdem ich die Klimaanlage ausgeschaltet und das Fenster geöffnet hatte. Die in 200 Metern vorbeiführende Brennerautobahn war unterm Strich deutlich leiser als die Luftkühlung, und weniger erkältungsfördernd obendrein.
Das extra zu bezahlende Frühstück wird in einem kantinenähnlichen Ambiente bereitgestellt; der Kaffee ist sehr gut, es gibt Kiwis, und die Croissants wurden nach meinem Rollgriff hoffentlich wieder aufgefüllt. 
Während das Frühstücks läuft im Fernsehen ein Bericht über die furchtbare Lawinenkatastrophe an der Marmolata. Anhand der Untertitel und des Nachrichtenlaufbandes auf italienisch reime ich mir das Geschehen ein wenig zusammen. Hoffentlich werden es nicht so viele Opfer sein, wie hier prophezeit werden.
Auch wenn heute die Sonne von einem wolkenlosen blauen Himmel strahlt, es wird regnen und gewittern, da ist sich der Wetterbericht sicher. Und morgen könnte es so weitergehen. Also muss ich umplanen: Die Route entlang der Gelben VIA ALPINA von Jenesien über den Tschöggelberg nach Meran wird ebenso ausfallen wie eine früher alternativ angedachte Überschreitung des Gantkofels vom Mendelpass aus. Statt dessen werde ich im Tal bleiben und auf dem Etsch- Radweg nach Lana wandern. Das bedeutet zwar zwei Dutzend flache Asphaltkilometer, aber so bleibe ich in meinem Zeitkorsett. 
Mit der Ringlinie 10 fahre ich wieder aus der Industriezone heraus und bis zum Bozener Krankenhaus. Direkt dahinter beginnen die endlosen Apfelplantagen des Etschtals.
Eine bis auf die illegale Überquerung der Bahnlinie Meran - Bozen an einem aufgelassenen Bahnübergang ereignislose Stunde später erreiche ich die Radroute. Diese ist gut frequentiert und man muss als Fußgänger schon ein wenig aufpassen. 
Da die Strecke auf dem Flussdeich verläuft, kann ich über das Meer von Apfelbäumen hinwegschauen, und da sind sie, hoch über Bozen, vielleicht zum letzten Mal zu sehen auf meiner Tour: Die Dolomiten, namentlich Rosengarten und Schlern, stellvertretend für die monumentalen Berge, die ich seit Sexten durchquert habe. Jetzt muss ich mich zu ihnen umdrehen. Da es sich zwischenzeitlich zugezogen hat, dort oben aber noch die Sonne scheint, wirkt das ganze fast surreal und wie für mich gemacht.
Die Etschtal- Radroute hat neben dem wanderunfreundlichen Belag und ihrer relativen Eintönigkeit einen weiteren großen Nachteil: Sie verläuft zwar direkt am Fluss, aber unmittelbar am jenseitigen Ufer dröhnt die Autobahn nach Meran. Da hilft dann nur Kopfhörer auf und Gute Laune -Musik rein: Die Playlist "ABBA von A bis Z".
Hinter Siebeneich fängt es an zu tröpfeln, das ist zunächst noch gut auszuhalten. Bei Terlan donnert es von irgendwo ein paarmal, und der Regen wird stärker. Da kommt eine Brücke gerade recht, unter der ich mich unterstelle, ich muss ja nichts erzwingen. Zeitgleich mit mir kommt ein radelndes Ehepaar aus Leipzig an, so ist für Gesellschaft gesorgt. Wie sich zeigt haben wir gerade rechtzeitig unseren Unterschlupf gefunden, denn draußen beginnt jetzt ein Wolkenbruch, die Regentropfen klatschen auf den Boden ringsum und in die Etsch, alle Berge ringsum sind im Nebel verschwunden. Zwei weitere Radlerpaare kommen noch dazu, während einige andere unverdrossen weiterfahren.
Insgesamt dauert der Regenguss anderthalb Stunden, dann wird es heller und der Regen geht wieder in Nieseln über. Ich zurre den Regenschutz über den Rucksack wieder fest, packe den Regenschirm aus und gehe weiter.
Nun komme ich gut voran, denn es ist nicht mehr so warm und schwül. Die alle 500 Meter stehenden Kilometersteine der Etsch kommen und gehen, jeden feiere ich innerlich. Das macht richtig Spaß; was die mir Entgegenkommenden wohl denken von diesem ABBA- singenden Wanderer unter dem Regenschirm.
An der Brücke in Vilpian hört es auf zu regnen, und kurz vor Gargazon kommt schließlich wieder die Sonne raus. 
Hier verlasse ich den Radweg und überquere die breit dahinfließende Etsch.
Weiter geht es nun auf kleinen Sträßchen mitten durch die Obstplantagen bis an den Ortsrand von Lana.
Für die letzten Kilometer kann ich endlich noch einmal auf einen Wanderweg ausweichen und steige kurz zum Brandiswaalweg empor.
Die Wasserleitung verläuft in einem Rohr, trotzdem ist der Weg herrlich schattig unter den vielen den Waal begleitenden Bäumen. An einer Kurve öffnet sich erstmals der Blick auf Meran.
In Lana begegnet mir die erste Palme der Tour. Im Ortszentrum herrscht Urlaubsstimmung. Eisdielen, schlendernde Menschen, hübsche Geschäfte. Es ist jedoch schon kurz vor 5, und ich muss ja noch nach Naturns, hier hat Houston Mission Control für mich für zwei Nächte ein Hotel gebucht. 
Vom Busbahnhof fahre ich nach Meran und steige dort um in den Bus in den Vinschgau. Das läuft problemlos, und um kurz nach 6 bin ich in Naturns. Im Supermarkt kaufe ich mir mein Abendessen, dann geht es die letzten Höhenmeter den Schlossweg hinauf bis zum Hotel Weingarten. 

Glück des Tages: Meine gute Laune nach dem Regen

Gelaufen: 24,2 Kilometer  
Bergauf: 120 Hm  
Bergab: 47 Hm  
Höchster Punkt: Brandiswaal oberhalb Lana (335m)
Übergänge: Etsch (Fluss)
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...