Die Nacht nach dem langen und fordernden Tag gestern war herrlich, ich habe geschlafen wie ein Toter.
Beim Frühstück setzt sich eine Neuseeländerin zu Christoph und mir. Sie ist auch auf einer Tour durch die Dolomiten und freut sich, dass es hier so viele Hütten und Gasthäuser gibt. In ihrer Heimat ist man auf den großen Hikes froh, wenn am Ende einer Etappe eine überdachte Liegefläche oder eine Art Biwakschachtel wartet. Sie will heute zur Lavarellahütte. Ich empfehle ihr die Kasnockerln, die mir gestern so exzellent geschmeckt haben; ob sie dieses doch recht exotische Wort verstanden hat bin ich mir nicht sicher...
Ich gönne mir heute eine Talfahrt mit der Seilbahn, denn, so die Hüttenwirtin, der Weg hinunter nach Badia sei steil und langweilig und führe weitgehend entlang der Skipiste. Darauf habe ich keine Lust.
Nachdem ich einen kurzen Blick in die Wallfahrtskirche und auf die ergreifenden Dankes- und Votivtafeln geworfen habe, schwebe ich also bei bester Aussicht auf die umliegenden Berge ins Tal hinunter.
Badia ist ein gewachsener Ort, der zur Skistation wurde. Alles scheint hier von oben unendlich viel harmonischer als das brachial- sterile Nassfeld.
Neben der Talststion wird der Zielbereich des großen Sella Ronda- Radrennens am Wochenende vorbereitet. Da wird hier wohl einiges los sein...
Ich durchquere den Ort, folge einem halben Kilometer der Staatsstraße und biege in das kleine Sträßchen Richtung Pescol ein. Vor dem Aufstieg zur Hütte muss ich heute nämlich einen kleinen Bergrücken überqueren, 300 Höhenmeter, die direkt wieder verpuffen.
Auf der anderen Talseite kann ich beim Aufstieg sehr schön noch einmal das Hospiz und die Kirche unter der großen Felswand, über die Schlucht 'meines' gestrigen Abstiegsweges sehen. Die Dimensionen werden erst so richtig erkennbar.
Pescol ist winziges Dorf und rasch durchquert, und auch die Passhöhe des Sattels, das Jueljoch, ist schnell erreicht. Hier warnt ein Schild, dass irgendein Wanderweg wegen eines Erdrutsches gesperrt sei. Das ist jedoch so kryptisch formuliert, dass ich es drauf ankommen lasse und meinen geplanten Weg weiterlaufe. Und tatsächlich ist ein anderer Weg gemeint, denn ich komme unbehelligt im Talgrund an. Hier treffe ich wieder auf eine Rodelbahn, ähnlich wie damals an der Winterleiten in den Seetaler Alpen.
An einem schön angelegten Picknickplatz mit Blick auf die Puezgruppe mache ich ausgiebig Mittagspause.
Danach geht es wieder bergauf, Zweieinhalb Stunden sind angeschrieben bis zur Schlüterhütte. Inzwischen haben viele Quellwolken den Himmel bezogen, hoffentlich bleibt die prognostizierte relative Schauer- und Gewitterwahrscheinlichkeit aus.
Durch das Mühlental führt mich der Beginn des Aufstiegs, ein Freilichtmuseum mit vielen Wassermühlen, deren Wasserräder jedoch heute nicht in Betrieb sind. Trotzdem ist es interessant, sich bei der ersten Mühle die lange hölzerne Wasserleitung anzuschauen.
Danach blende ich jedoch die weiteren Mühlen aus und folge nur noch den Wegzeichen bergauf.
Heute fällt es mir irgendwie leichter als die Tage zuvor, ich steige zügig und ohne richtig große Anstrengung durch den Bergwald auf.
Kurz vor Erreichen der Baumgrenze donnert es. OK, das war ja angesagt. Richtung Peitlerkofel, höchster Berg hier, ist es recht dunkel geworden, aber ob das die Gewitterzelle ist? Oder kommt der Donner von weiter weg? Ich bleibe ersteinmal im Schutz der Bäume, warte ab und beobachte die Wolken.
Es wird bald wieder heller. Donner war auch keiner mehr zu hören, also gehe ich weiter. Als nächstes Zwischenziel wähle ich eine Gruppe von Heustadeln ein gutes Stück über mir. Dort mache ich noch einmal Pause, um das Ziehen der Quellwolken zu beobachten, dann steige ich ganz hinauf zum Grat und zum Kreuzkofeljoch.
Oben angekommen geht es auf der anderen Seite direkt wieder runter, und schon stehe ich vor der Schlüterhütte.
Zweimal habe ich hier bereits übernachtet: Einmal vor 25 Jahren während einer Tour über den Südtiroler Teil des Dolomiten- Höhenwegs Nr. 2, und dann 2014 auf meiner Fernwanderung Weilheim- Venedig. Beide Male habe ich das Haus in bester Erinnerung.
Ich betrete die Hütte, melde mich beim Hüttenwirt an, ich erkenne ihn wieder von 2014 - und bekomme überraschenderweise ein Upgrade. Reserviert per Mail hatte ich lediglich einen Schlafplatz, der Hüttenwirt hat mich entsprechend im Lager eingeteilt. "Ich würde auch ein Zimmer nehmen" merke ich in unserem freundlichen Gespräch an, und prompt ist noch ein Einzelzimmer frei. Genial! Gestern noch fühlte ich mich angezählt nach der langen Gewitteretappe, und heute bekomme ich ein Zimmer für mich alleine. "Es wird sich was ergeben", so eine Weisheit von Hape Kerkeling aus seiner Wanderung nach Santiago, et voilà, so auch bei mir.
Überglücklich beziehe ich meine winzige Stube unter dem Dach, die ich bis zum Abend nicht mehr verlasse. Den kurzen spätnachmittäglichen Gewitterschauer beobachte ich aus dem Fenster.
Im Speiseraum sitze ich dann zusammen mit zwei jungen Südtirolerinnen aus Bozen und München und einem Vater mit seiner Tochter aus Schwäbisch Gmünd. Es entwickelt sich - wieder einmal - ein sehr interessantes Gespräch, wie es sich so vielleicht nur auf Berghütten ergibt.
Leider ist auch ein Gesangsverein auf der Hütte, der sich nicht an die Hüttenruhe hält. Da ich ich direkt über dem Speisesaal mein Zimmer habe, fühle ich mich fast erinnert an die Geburtstagsfeier auf dem Waxeneckhaus. Erst um halb zwölf endet die Zwangsbeschallung, die mich an Wilhelm Busch erinnern lässt: "Musik wird störend oft empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden."
Ein Gruß geht heute noch raus an das Hochweißsteinhaus und die Sektion Austria des OeAV: So wird das gemacht mit den Handysteckern: Viele kostenlose Steckdosen auf jeder Etage. Und wenn man sich nicht total über den Tisch gezogen oder abgezockt fühlt, bestellt man vielleicht noch ein oder zwei Bier mehr. Denn nur glückliche Gäste sind spendable Gäste.
Glück des Tages: Mein winziges Einzelzimmer
Gelaufen: 14,9 Kilometer
Bergauf: 1.259 Hm
Bergab: 314 Hm
Höchster Punkt: Kreuzkofeljoch (2.344m)
Übergänge: Jueljoch, Kreuzkofeljoch
Gipfel: keine