Irgendwann in der Nacht fing es an zu regnen, und im Morgengrauen kam dann Gewitter vom feinsten dazu. Ich konnte gar nicht mehr unterscheiden, was Donner und was Echo war.
Bald ist klar, dass mein eigentlicher Plan, wieder mit dem Bus zum Dürrensee zu fahren und über die Plätzwiese zur Seekofel- oder Senneshütte zu laufen, so nicht klappen kann.
Beim wieder ausgezeichneten Frühstück konkretisiere ich meinen Plan B: Erneut mit dem Bus nach Toblach, und dann im Regen durch das Pustertal laufen, wenn es klappt zum Pragser Wildsee, damit ich dort morgen weitermachen kann.
Am Busbahnhof in Toblach ist heute kein Betrieb, niemand nutzt die Busse in die Wanderzentren. Im EUROSPIN- Supermarkt ergänze ich noch mein Proviant, dann geht es raus in den Regen.
Ich wandere entlang der Pustertal- Radroute, die ist asphaltiert und verspricht weniger Steigungen als ein Wanderweg. Es gießt in Strömen, und immer wieder ist Donner zu hören; mal lauter, mal entfernter, und immer irgendwie gespenstisch.
Nach anderthalb Stunden komme ich nach Niederdorf. Hier scheint es ein wenig heller zu werden. Am Bahnhof stelle ich mich unter und checke den Wetterbericht: Der Regen soll im Laufe des Tages nachlassen, und am Nachmittag sogar vereinzelt die Sonne herauskommen. Das macht Hoffnung.
In Niederdorf beginnt der Wanderweg zum Pragser Wildsee. Durch viel Wald geht es hinein in das Seitental. Bei einem Bauernhof öffnet sich eine Lichtung, und da reißt es tatsächlich ein wenig auf: Zwischen den Wolken- und Nebelfetzen sind wahrhaftig einzelne Berge zu erkennen.
Auch der Regen lässt deutlich nach, in Prags kann ich endlich den Poncho ausziehen.
Nun wird der Weg ein wenig steiler. Er führt weiterhin völlig abseits der vielbefahrenen Straße zu den Parkplätzen am Bach entlang durch Wald, bis er unmittelbar am Ufer des Pragser Wildsees ausläuft.
Hier sind natürlich selbst bei diesem Wetter viele Leute unterwegs, und die Szenerie ist auch wirklich sehenswert: Inzwischen hat es soweit aufgerissen, dass man die den See umgebenden Berge gut erkennen kann. Eine beeindruckende Kulisse aus steilen Dolomitwänden baut sich rund um den See auf. Genau gegenüber als höchste Spitze der Seekofel und darunter der Schuttkegel, über den der Weg hinauf zur Seekofelhütte führt.
Ich mache hier kurz Pause, zu schön ist die Szenerie, dann biege ich in den Seerundweg bis zum jenseitigen Seeufer und dem Abzweig zur Seekofelhütte ein.
Hier beginnt der Dolomiten- Höhenweg Nummer 1, der bis nach Belluno am südlichen Ende der Dolomiten führt. Schon einmal bin ich hier abgebogen, 1997, als ich den ganzen Höhenweg gelaufen bin.
Gute zwei Stunden steige ich nun hinauf. Ein Pärchen ist irgendwo vor mir unterwegs, drei Wanderer kommen mir insgesamt entgegen, dazu wird es tatsächlich zunehmend sonnig - es ist wirklich noch ein schöner Wandertag geworden.
Oben an der Seekofelscharte ist es dann soweit, Vorhang auf für die große Dolomitenschau: Monte Pelmo, die Tofanen und die Sorapis links, rechts die Fanes und etwas in Wolken die Geißlergruppe, da bin ich in drei Tagen.
Wer hätte gedacht, dass nach dem Gewitter- Tagesbeginn heute noch so ein Blick möglich ist...
Zur Seekofelhütte geht es nun noch auf einem etwas holprigen Weg hinab, dann habe ich mein Tagesziel erreicht. Ein Bett ist auch noch für mich frei; ich hatte gestern vorsichtshalber eine Mail geschrieben, die von den Hüttenwirtinnen aber nicht mehr gelesen wurde.
Zum Abendessen bestelle ich mir Penne Bolognese und eine mit Käse überbackene Polenta, köstlich. Am Tisch sitze ich mit einer Schweizerin, die den Dolomiten- Höhenweg geht, und zwei Südtirolerinnen; wir sind auch zusammen in unserem 6er-Zimmer.
Zum Sonnenuntergang stehen wir dann alle noch einmal vor der Hütte und genießen den herrlichen Ausblick. So schön kann ein Regentag enden.
Glück des Tages: Der erste Blick von der Seekofelscharte auf die Dolomiten.
Gelaufen: 26,3 Kilometer
Bergauf: 1.401 Hm
Bergab: 338 Hm
Höchster Punkt: Seekofelscharte (2.387m)
Übergänge: Seekofelscharte
Gipfel: keine