Samstag, 2. Juli 2022

34. Tag: 27. Juni 2022 Sexten - Dürrensee - Sexten

Eigentlich hatte ich ja heute einen Ruhetag eingeplant. Jedoch ist die Wettervorhersage für heute viel zu gut und für morgen viel zu schlecht, als das ich den heutigen Tag ungenutzt verstreichen lassen könnte.
So werde ich von Sexten aus heute erstmals einen “Flip Flop Hike” unternehmen. So nennen es die Begeher des Appalachian Trails in ihrem Hiker-Slang, wenn man eine oder mehrere Etappen rückwärts, d.h. entgegen der eigentlichen Richtung, läuft. 
Nach üppigem Frühstück packe ich meinen heute halbleeren Rucksack, nehme um 8.25 Uhr den Linienbus nach Toblach und steige dort in den Bus Richtung Cortina um. Am Busbahnhof in Toblach ist richtig was los, fast so wie bei der morgendlichen S-Bahn in nach München warten hier viele Wanderer. Zum Glück fahren fast alle entweder zum Pragser Wildsee oder nach Sexten, Richtung Cortina bin ich fast alleine im Bus. 
Am Dürrensee steige ich aus und wandere hinüber zum Dreizinnenblick. Das Dreigestirn kann man von hier unten aus ganz klein schon erkennen, fast alle blicken und fotografieren in diese Richtung; dabei ist die in ganzer Pracht sichtbare Cristallo-Gruppe von dieser Position aus wesentlich eindrucksvoller. 
Zunächst geht es einen langweiligen Schotterweg taleinwärts. Es ist schon recht warm, jedoch ist an vielen Stellen noch Schatten. Deswegen war ich auch nicht von der Ostseite, das heißt von Sexten aus, aufgestiegen, denn diese Richtung hätte durchgehend in der prallen Sonne gelegen.
Nach einer guten Stunde trifft das ein, was ich erhofft hatte: René kommt mir entgegen; er folgt ja der der Via Alpina, die hier exakt in meiner Gegenrichtung den Berg herunter kommt. Ich begrüße ihn mit "Überraschung!" Da er ja überhaupt nicht damit gerechnet hat, dass ihm hier jemand Bekanntes über den Weg läuft, ist die Überraschung perfekt gelungen. Wir tauschen uns noch einmal über die letzten zwei Tage aus, was jeder so erlebt hat, machen noch ein Gemeinschaftsselfie und verabschieden uns mit den besten Wünschen voneinander. Auf dass wir beide gesund in Monaco ankommen.
Beim Aufstieg bin ich hier natürlich nicht alleine: Zunächst überhole ich eine vielköpfige Wandergruppe aus Limburg an der Lahn, die eine Wanderwoche in den Dolomiten beginnen, dann eine Gruppe französischer Senioren; es macht richtig Spaß, mit ihnen Französisch zu sprechen, da freue ich mich schon auf die letzten Tage meiner Tour.
Nach einem Steilaufschwung stehen sie auf einmal vor mir: Die berühmtesten Berge der Alpen, zunächst noch von unten, etwas aus der Froschperspektive aus gesehen. Aber mit jedem Meter, den es höher geht, wirken sie prachtvoller. Und an der Dreizinnenhütte hat man dann endlich den ersehnten epischen Anblick.
Trotz aller Klischees, trotz aller Abgedroschenheit, trotz aller Menschenmassen um mich herum: Der Blick auf diese Bergformation ergreift und begeistert mich immer aufs Neue. Für mich ist es einer der schönsten Plätze der Alpen, vielleicht der Welt. Berggestalten in Perfektion, monumental in ihrer Schroffheit und gleichzeitig von fast ästhetischer Eleganz.
Diesen Ort genießt man natürlich nicht in Einsamkeit; zumal hinter den drei Bergen in fußläufiger Entfernung ein großer Parkplatz auf die Massen wartet, für die die Dreiviertelstunde hier herüber eine gerade noch zumutbare Marschdistanz bedeutet. So ziehen die vielen Menschen wie an der Perlenschnur über die Wanderwege, und wer in der Hütte etwas bestellen möchte, braucht schon ein wenig Geduld. 
Aber nur 100 m hinter der Hütte sitzt man alleine und kann diesen Prachtblick ganz individuell, fast intim, genießen.
Ich möchte nun nicht auf dem direkten Weg nach Sexten absteigen, sondern als Extratour noch einen Bogen über die Zsigmondy-Hütte schlagen. Ein schöner schmaler Steig führt oberhalb der Bödenseen durch große Schuttfelder bis zum Fuß des Büllelejochs.
Oben angekommen fallen zunächst mehrere Kriegsstellungen auf, dann öffnet sich der Blick auf den mächtigen Zwölfer und die Berge der östlichen Sextner Dolomiten.
Die Büllelejochhütte liegt nur wenige Minuten entfernt, fast wie eine Oase in der Wüste. Da mir das Wetter jedoch nicht gänzlich sicher erscheint und der Nachmittag schon fortgeschritten ist, lasse ich die Einkehr aus und steige direkt zur Zsigmondy-Hütte ab. 
Der Abstieg führt tief hinab in ein von schroffen Wänden umgebenes Tal, bis die Hütte inmitten dieses Amphitheaters schließlich erreicht ist. Sie liegt sehr eindrucksvoll direkt unter der Nordwand des Zwölfers.
Auch hier kehre ich nicht ein, sondern gehe nach kurzer Pause weiter talwärts. Anderthalb Stunden dauert der Abstieg hinab in den Fischleinboden, der, obwohl eigentlich ganz unten, auch schon eine prächtige Dolomitenkulisse zu bieten hat.
An der Bushaltestelle möchte ich den Bus nach Sexten besteigen. Doch gibt es für diese kurze Strecke keine Einzelfahrkarten, sondern nur eine teure Tageskarte. Ich verzichte dankend, steige wieder aus dem Bus aus und frage am benachbarten Parkplatz am Kassenautomaten, ob mich jemand nach Sexten mitnehmen könnte. Sofort bietet sich eine Mitfahrgelegenheit bei einem Ehepaar aus Duisburg. Perfekt, und den Bus überholen wir auch noch.
Zur Verproviantierung für das Abendessen mache ich noch einen kurzen Einkaufsschwenk beim SPAR, dann bringen mich meine müden Waden zum Hotel. Bevor ich jedoch mein Buffet eröffne, kann ich wieder die Infrastruktur in meinem Badezimmer in zweifacher Hinsicht nutzen.
Den Rest des herrlich warmen Abends verbringe ich auf dem Balkon.

Glück des Tages: Die Erhabenheit der Drei Zinnen.

Gelaufen: 19,3 Kilometer 
Bergauf: 1.243 Hm
Bergab: 1.191 Hm
Höchster Punkt:  Büllelejoch (2.555m)
Übergänge: Sattel bei der Dreizinnenhütte, Büllelejoch
Gipfel: keine 

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...