Sonntag, 5. Juni 2022

8. Tag: 01. Juni 2022 Habsburghaus - Schneealpenhaus

Als ich um halb acht in den Gastraum komme, ist noch alles still und leer. OK,  denke ich, dann packe ich ersteinmal mein Zeug zusammen und mache den Rucksack startklar. Um 8 Uhr ist dann Roman in der Küche und schürt den Ofen an. Ich frühstücke alleine im großen Gastraum mit Prachtblick auf die Schneealpe, mein heutiges Ziel. Nach dem nächtlichen Regen ist es ziemlich wolkig, die Sonne kommt jedoch gelegentlich zum Vorschein.
Die Verabschiedung von Roli, der voller Tatendrang den ersten Öffnungstag beginnt, ist noch einmal sehr herzlich.
Um 9 Uhr verlasse ich das tolle Habsburghaus. Kaum bin ich die ersten Schritte gegangen muss ich schon wieder stehen bleiben: Drei Gemsen äsen auf der Wiese unterhalb der Hütte, völlig unbeeindruckt von mir. Ich nähere mich ihnen auf dem Weg und komme 50 Meter an sie heran, bis mein Weg abbiegt. Es kommen sogar noch zwei jüngere Stücke dazu; denen ist jedoch meine Anwesenheit zu unheimlich und sie empfehlen sich rasch wieder.
Ich muss nun hinunter ins Nasswaldtal absteigen. Zunächst geht es über einen harmlosen Bergpfad, dabei komme ich auch an den Ruinenresten der Alm der Rax-Bäuerin vorbei. Irgendwo auf diesem Weg überquere ich auch die Grenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark.
Nach einer Dreiviertelstunde wird es dann ernst: Der Kaisersteig führt mit mehreren längeren Seil- Versicherungen durch die Felswand, insgesamt aber sehr gut gangbar. Darunter liegen Baumstämme kreuz und quer, wie durch ein kleines Labyrinth führt der Weg dort hindurch. 
Mitten in einer großen Blumenwiese voller Margeriten steht schließlich die Talstation der Materialseilbahn. Hier, so hatte Roli gemeint, beginnt der schmale unauffällige Steig hinauf auf den Nasskamm, der die Rax mit der Schneealpe verbindet. 300 Höhenmeter später bin ich oben und treffe hier wieder auf den 01er, der von der Rax- Hochfläche den Klettersteig des "Zahmen Gamsecks" herunter genommen hat. Diese Route war mir nach Betrachtung vieler Bilder und Videos in der Vorbereitung als Abstiegsvariante mit schwerem Rucksack als zu heikel erschienen, daher mein Weg über das Habsburghaus und den Kaisersteig. 
Eine kurze Pause, dann geht es weiter bergauf. Auf einem vielseitigen jedoch ziemlich anstrengenden Pfad steige ich mit langsamen Tempo die folgenden zwei Stunden hinauf auf die Hochfläche der Schneealpe. Hier ist die in nun einer Wanderwoche aufgebaute Kondition gefragt. 
Kurz vor Erreichen der Kante kommt mir ein Nacktwanderer entgegen, bekleidet allein mit seinem Rucksack. Man erlebt immer wieder was neues...
Auf der Hochfläche angekommen ist die Aussicht natürlich phantastisch: Die Rax mit ihren riesigen Kalkwänden, zum Teil in mächtige Wolken gehüllt, rechts davon und den Hintergrund beherrschend der bewaldete, im Vergleich zur Rax im Profil wesentlich gemäßigtere Alpenhauptkamm, und ganz links in der Rückschau der Schneeberg. Auch aus dieser Perspektive ein toller und markanter Berg. Ich bin ein wenig stolz, dort oben gewesen zu sein.
An der Lurgbauerhütte beginnt die Saison erst, Handwerker bauen einen neuen Schuppen, alles wirkt noch etwas unaufgeräumt. Für mich kein Problem, eine Einkehr hatte ich trotz des berühmten Bergkäse- Angebots sowieso nicht eingeplant.
Die letzte Wanderstunde bei nun eingetrübtem Himmel und natürlich wieder einmal auffrischendem Wind führt über eine Almstraße. Das Schneealpenhaus ist schon recht bald sichtbar, aber es zieht sich dann doch mächtig bis dorthin.
Um Punkt 4 Uhr ist es geschafft. Die Hütte steht wie ein Adlerhorst über dem Mürztal, einen schöneren Platz hätte man sich hier kaum vorstellen können. 
Als ich die Hütte betreten läuft gerade DON'T GET ME WRONG von den Pretenters, welch ein Intro. Ich werde freundlich von Michael, dem Hüttenwirt, begrüßt. Ich bin der einzige Übernachtungsgast heute und kann mir meinen Platz im leeren Lager aussuchen. 
Die Hütte ist gemütlich und völlig urig, bis auf ein paar Zugeständnisse an die Moderne scheint alles seit Ewigkeiten unverändert.
Der Gastraum bietet eine umfassende Panoramasicht; die nun gelegentlich niedrig durchziehenden Wolken machen das Erlebnis noch eindrücklicher. 
Ich sitze zunächst alleine, bald erkundigt sich jedoch eine Gruppe Einheimischer nach meinem Weg. Es dauert nicht lange, und ich sitze bei Luis, Jessica und Dave am Tisch. Es ist eine sehr lustige Runde. 
Irgendwann müssen die drei jedoch wieder ins Tal, und ich bin mit Michael, seiner Frau und seinen zwei Kindern alleine hier oben. Er berichtet, dass im letzten Jahr Gäste da waren, die auf einer Alpenüberquerung Wien - Nizza waren, heuer habe er noch keinen mit meiner Route da gehabt.
Vor dem Fenster wird es irgendwann dunkel, ganz bescheiden mit vielen Wolken ohne großen Sonnenuntergang, und trotzdem sehr stimmungsvoll.
Als ich dann aber im Lager unterm Dach liege, prasselt der Regen laut auf die Dachziegeln über mir. Ein wenig Wetterleuchten meine ich auch noch wahrzunehmen, dann fallen mir die Augen zu.

Glück des Tages: Die Gemsen am Habsburghaus 

Gelaufen:  15,6 Kilometer 
Bergauf: 1.055 Hm
Bergab: 1.065 Hm
Höchster Punkt: Habsburghaus 1.786m
Übergänge: Nasskamm

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...