Dienstag, 28. Juni 2022

28. Tag: 21. Juni 2022 Eggeralm - Bivacco Ernesto Lomasti

Da sich das Zimmer nicht richtig verdunkeln ließ und die Kuhglocken mit dem ersten Sonnenstrahl ihr Konzert beginnen, bin ich schon früh wach. Zum Frühstück um 7 Uhr habe ich alles gepackt und bin startklar.
Wieder ist es mit Gerhard, Thomas und Benedikt sehr lustig. Nachdem ich mir gestern Abend zum Frühstück statt Spiegeleier einen leckeren Käse gewünscht hatte gibt eine große Käseplatte mit vielen echten Spezialitäten, die wir uns begeistert schmecken lassen. Gelber Hartkäse ist im Übrigen nicht dabei.
Um 8 Uhr starten die drei, ich folge ihnen einige Minuten später, nachdem ich mein morgentliches Video für daheim gedreht habe. Mein heutiges Ziel ist die Rattendorfer Alm, da das Wetter gut werden soll und mir die vier Stunden bis zum Nassfeld, die zweite Hälfte der gestern geteilten Etappe zu kurz ist.
Nachdem ich die Aufdringlichkeiten der örtlichen Pferdeherde überstanden habe geht es heute zunächst wieder über eine schattige Forststraße. Da es noch angenehm kühl ist, mache ich ein wenig Tempo und komme gut voran. Die Aussicht über das Gailtal nach Norden ist phänomenal.
Am Stallensattel kann ich die Straße verlassen; hier verläuft die Grenze und ich bin in Italien. Nun öffnet sich der Blick ein wenig nach Süden.
Zum ersten Mal bin ich auf einem Kriegssteig aus dem 1. Weltkrieg unterwegs, der jedoch arg verfallen und an einigen Felspassagen versichert ist. Eine halbe Stunde später bin ich am Schulterköfelesattel wieder in Österreich, wo ich die drei Kärntner wieder treffe, die hier pausieren; wir sind also ungefähr in gleichem Tempo unterwegs.
Nach einem erneuten Forststraßenabschnitt, zunächst mit Blick ins Gailtal und auf die Gletscher des Ankogels in den fernen Hohen Tauern, dann zu Füßen der Wände des Gartnerkofel, beginnt die Skiarena Nassfeld. Auf der ersten heute zu querenden Skipiste haben die Klagenfurter mich eingeholt und wir sind wieder zu viert unterwegs. Es geht an der Garnitzenalm vorbei hinauf zu einem abgelassenen Wasserspeicher für die Schneekanonen. Tief unten arbeiten zwei Männer, so werden die Dimensionen dieses künstlichen Sees deutlich.
Zum oben am Hang gelegenen Garnitzentörl führen Lifte und Pistenschneisen, und hier öffnet sich der Blick auf das Nassfeld, Kern des gleichnamigen Skizirkusses. Wie immer sieht ein Skigebiet und die dazugehörige Infrastruktur im Sommer grauenhaft aus. Als Skifahrer bekomme ich bei diesen Anblicken stets ein schlechtes Gewissen.
Eine halbe Stunde gemütlichen Bergabwanderns später haben wir auf der Terrasse des Alpengasthofs Plattner Platz genommen und stärken uns mit Kuchen oder Spaghetti. 
Das Wetter macht uns ein wenig Kopfzerbrechen: Nachdem der Wetterbericht gestern einen bis zum späten Nachmittag stabilen Tag prognostiziert hatte, kann es nun schon bald nach Mittag ein Gewitter geben. Wir beschließen, uns Stück für Stück voranzutreiben, je nachdem wie das Wetter aussieht.
Nach der Pause steigen wir hinab zum Nassfeldpass.
Unten in der Hotelsiedlung, die die Ortschaft darstellt, wird heftig gebaut. Der Wegweiser des Karnischen weist dann auch geradewegs in eine Baustelle. Beim Versuch, durch diese hindurchzugehen, werden wir von einem schlechtgelaunten Bauarbeiter angeblafft, danach steigen wir einfach die daneben liegende Skipiste geradewegs nach oben, bis wir wieder auf Kurs sind.
Eine Aufstiegsstunde durch das Skigebiet später macht eine dunkelgraue Gewitterwolke auf sich aufmerksam, die langsam aber stetig schneller werdend aus dem Gailtal herüberzieht. Kurzer Kriegsrat auf freier noch sonniger Skipiste: Unterschlupf suchen oder hinauf zur über uns sichtbaren Bergstation der Seilbahn? Wir entscheiden uns für den Aufstieg und forcieren das Tempo um zwei Stufen. Bald ist die Sonne weg und ferner Donner zu hören. Weiter. Uns kommen Familien mit Kindern entgegen, die unbeschwert absteigen. Wie Jan Ulrich damals in Alpe d'Huez blende ich Steigung, strömenden Schweiß und beginnende Leere in den Beinen aus, hänge mich an Gerhard an und kämpfe mich hinauf. Mit den ersten leichten Regentropfen können wir uns im Eingang eines Ski- und Sportgeschäfts unterstellen. Keine fünf Minuten später beginnt der Wolkenbruch, begleitet von einigen Donnern.
Zusammen mit einigen anderen warten wir nun hier im Trockenen ab. Der Regenschauer dauert doch deutlich länger als erwartet. Als es ein wenig nachlässt wechseln wir in das im ersten Stock gelegene Restaurant. Zwei Stunden hält uns der Regen nun schon auf, Kaiserschmarrn zu Skizirkus- Preisen und alkoholfreies Bier helfen uns über die Zeit hinweg.
Dennoch müssen Pläne geändert werden: Ich werde nicht mehr zur Rattendorfer Alm kommen, und die Drei schaffen es nicht mehr zur Straniger Alm. Eine Alternative böte sich uns in anderthalb Stunden Entfernung: Das Bivacco Ernesto Lomasti, eine direkt hinter der Grenze gelegene Biwakschachtel des CAI. Das wird unser Ziel, in der Hoffnung, dass die dortigen sechs Lager nicht schon belegt sind und wir auf unsere Zelte ausweichen müssen. 
Als es schließlich aufhört zu regnen brechen wir auf. 
Es geht ohne größeren Kontakt zu den Skipisten ordentlich hinab zum Rudnigbach und auf der anderen Seite wieder hinauf. Kurz vor dem Rudnigsattel treffen wir auf die ersten Relikte aus dem 1. Weltkrieg: Reste einer Militärstraße, Ruinen einer Stellung und oben am Sattel einen Schützengraben. 
Am höchsten Punkt sind wir wieder an der Grenze, hier ist das Bivacco schon angeschrieben. Kurz darauf können wir die rote Tonne unter uns sehen, sie steht in traumhafter Lage über dem Tal.
Nach kurzen Schwierigkeiten beim Öffnen der schwergängigen Tür können wir unser Reich für diese Nacht beziehen. Das Bivacco wurde 2019 neu errichtet  entsprechend wenig genutzt und bestens im Zustand sind die hölzernen Etagenbetten.
Benedikt baut im Windschatten des Bivacco sein Zelt auf, also können wir drei uns richtig ausbreiten.
Nach Isomatten- und Schlafsackausrollen und Abwarten eines kurzen Schauers wird Tee und Fertignahrung gekocht, die Jungs teilen fürstlich mit mir - Herzlichen Dank.
Die Wolkenspiele über dem Tal und den Felswänden rechts und links sind faszinierend, es schaut jedes Mal wenn man hinsieht völlig anders aus.
Als es dämmert und die Temperatur schnell sinkt verziehen wir uns in die Schlafsäcke. 
Bald beginnt es heftig zu regnen, die Tropfen rauschen auf das Dach. Wie schön, dass es im Schlafsack herrlich warm ist.

Glück des Tages: Dass ich mich Gerhard, Thomas und Benedikt anschließen konnte; ohne sie wäre der Tag ganz anders verlaufen.

Gelaufen: 24,9 Kilometer 
Bergauf: 1.299 Hm
Bergab: 825 Hm
Höchster Punkt: Rudnigsattel (1.945m)
Übergänge: Stallensattel, Schulterköfelesattel, Garnitzentörl, Nassfeldpass, Rudnigsattel
Gipfel: Keine

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...