Donnerstag, 16. Juni 2022

20. Tag: 13. Juni 2022 Wolfsberger Hütte - Mittertrixen

Es ist dunstig über dem Tal, als ich in der gemütlichen Gaststube beim Frühstück sitze. "Dunstig ja, aber nicht so dass es nach Regen ausschaut" meint Brigitte. Sie und Hans frühstücken auch gerade. Mit dabei sitzt auch mit das nepalesische Ehepaar, das den Sommer über auch hier auf der Hütte ist; er ist Bergführer im Himalaya und war schon dreimal auf dem Everest, was er dabei wohl schon alles erlebt haben mag...
Ich breche um kurz vor 9 auf und steige wieder den Wiesenrücken zum Kamm hinauf. Hier steht ein großes Kreuz, es erinnert an die Kärntner Volksabstimmung von 1920, in der nach dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang des Habsburgerreiches die Landkreise Südkärntens für Österreich oder für Jugoslawien votieren mussten. Hier im Lavanttal war die Sache eindeutig, in Diex, durch das ich heute noch durchkommt, war die Sache etwas knapper, und es gab tatsächlich einige überwiegend von Slowenen bewohnte Gemeinden, die nicht für Österreich stimmten und nach Jugoslawien wechselten. Die Kärntner hatten jedoch zumindest eine Wahl, den Südtirolern blieb diese damals verwehrt.
Der Himmel jenseits der Kamms ist grau-dunkel, und es fängt tatsächlich auch bald an zu nieseln.
Einen knappen Kilometer weiter komme ich an den höchsten Punkt der heutigen Etappe: Wie so viele Gipfel ringsum heißt auch dieser Speikkogel; eigentlich tragen die Berge ja Namen, um sie voneinander unterscheiden zu können, hier heißen alle gleich. Zum Glück ist die kurze Regen-Episode schon wieder zu Ende, und ich kann die Regenjacke wieder im Rucksack verstauen. Die Aussicht vom Gipfelkreuz ist vor allem Richtung Norden ein Genuss, denn die Schladminger Tauern leuchten in der Sonne eines Wolkenlochs. Der Rest des Kärntner Landes unter mir versteckt sich dagegen in schemenhaftem Grau in Grau. 
Unter dem kleinen Gipfel treffe ich meinen einzigen Bergsteigerkollegen heute, ja schlussendlich die einzige Person, die mir überhaupt zu Fuß entgegenkommt: Ein Urlauber aus Lienz in Osttirol, der von der Almlandschaft der Saualpe genauso begeistert ist wie ich.
Beim Weiterweg ist auf einmal Vogelgeflatter um mich herum: Zwei Birkhähne steigen links von mir auf und landen 50 Meter rechts von mir, ob sie noch in einer späten Balz sind vermag ich nicht zu beurteilen, auch weil sie sehr schnell vom niedrigen Beerengestrüpp verdeckt werden. Für diese Rauhfußhühner sind die offenen einsamen Weiten der Saualpe ein ideales Biotop. Welch ein Glück, diese schönen Vögel gesehen zu haben.
Am Kreuz des Kleinen Sauofens, es markiert eine Gruppe von aus der Alm herausragenden Felsen, sind die Karawanken jenseits des Drautals im Dunst gut zu erkennen, ganz im Gegensatz zu vielen weiter westlich gelegenen Bergen, die heute gar nicht zu sehen sind, wie zum Beispiel der Dobratsch bei Villach.
Auch ist deutlich zu sehen, dass in einigen hundert Metern der Eisenwurzenweg in den Wald eintaucht, dies markiert das südliche Ende des gigantischen Höhenwegs, dem ich seit dem Zirbitzkogel zweieinhalb Tage lang gefolgt bin.
Zweieinhalb Stunden geht es nun durch Wald, meist über schmale Pfade und Wege, nur ganz selten auf Forststraßen. Dichte und lockere Bestände wechseln sich ab. 
Zwei Rehe sehe ich unterwegs und viele zum Teil riesige Ameisenhaufen.
Es ist ein schönes und entspanntes Wandern im Schatten, aber irgendwann fehlt mir die Aussicht schon ein wenig. An der Lichtung des Pipeletzberges öffnet sich der Blick dann doch kurz, und von Westen her scheint ein Schauer heranzuziehen. Aber noch bleibt es sonnig.
Kurz vor Diex kreuzt der Eisenwurzenweg den Kärntner Mariazellerweg, dies wird mit einem Denkmal gewürdigt. Auch die VIA SLAVORUM kreuzt wieder meine Route. Dem Wallfahrtsweg von Krakau nach Rom war ich schon an der Kammersteiner Hütte im Wienerwald begegnet; er führt über Graz und damit um die hohen Berge herum.Den Pilgerwegen wollte ich eigentlich ganz gemütlich hinab nach Brückl folgen, aber der dortige Gasthof hat heute keinen Platz für mich frei. So muss ich Richtung Völkermarkt und damit deutlich weiter nach Süden ausweichen als ich eigentlich geplant hatte.
Auf einmal versperren Holzarbeiten die Straße, ohne eine Umleitungs- oder Durchgangsmöglichkeit zu bieten. Deutlich sind umfallende Bäume und schwere Maschinen zu hören, da komme ich nicht durch. Mit GPS-Hilfe steige ich durch einen Fichtenbestand bis zur nächsten Straße ab, unterwegs begegnet mir ein Schmalreh, das offenbar genauso irritiert ist wie ich. Ein Stacheldrahtzaun ist noch zu überwinden, dann bin ich wieder auf Kurs.
Fünf Minuten später stehe ich endlich wieder in der Sonne und schaue auf Diex hinab mit seiner doppeltürmigen Kirche und den nun schon ganz nahen Karawanken dahinter, ein prächtiger Anblick, für den sich die lange Waldtour gelohnt hat.
Die Kirche steht innerhalb eines kleinen, von hohen Mauern umgebenen Friedhofs wie inmitten einer Burg und wirkt innen fast bescheiden für ihren imposanten Anblick.
Gaststätten und Geschäfte im Dorf haben zu oder sind verwaist, also ziehe ich schnell weiter.
Kurz nach dem Ortsausgang erwischt mich ein kleiner Regenschauer, aber ich kann mich bei der kleinen Wertstoffsammelstelle unterstellen.
Vom Weiler Bösentritt aus geht ein letzter Blick zurück auf Diex, auch der ferne Speikkogel von heute früh ist noch zu sehen, dann beginnt der lange Abstieg aus diesem Teil der Alpen. Ein kaum befahrenes Sträßchen nimmt mich auf und führt mich mit herrlichem Blick auf die Karawanken und das Drautal in vielen Kurven bergab. Die Sonne ist auch wieder da, der Regen war also lediglich ein kurzes Intermezzo. Gemütlich wandere ich dahin.
Anderthalb Stunden später und schon ziemlich weit unten und den Dörfern im Talgrund nah schaue ich noch einmal prüfend auf mein GPS: Ich bin nicht mehr auf der dunkelblauen Linie!
Merde, ich muss einige hundert Meter auf der steilen Straße zurück. Mit inzwischen zwei Dutzend Kilometern in den Beinen kommt es so zu einer lautstarken Gefühlsäußerung. 
Aber was hilft's, ich muss zurück und biege in die vorher übersehene Fahrspur ein, die mich dann planmäßig hinunter nach Gattersdorf und Mittertrixen führt.
Hier habe ich im Gasthof Rabl ein Zimmer reserviert. Dieses hat zu meiner Freude eine Badewanne, für mich ist das fast ein kleiner privater Wellnessbereich.

Glück des Tages: Früh genug gemerkt zu haben, dass ich mich verlaufen habe. Die Straße wäre Gott weiß wo rausgekommen, so hielt sich der Umweg trotz allen Frusts in Grenzen.

Gelaufen: 27,2 Kilometer 
Bergauf: 377 Hm
Bergab: 1.632 Hm
Höchster Punkt: Speikkogel (1.901m)
Übergänge: Diexer Sattel 
Gipfel: Speikkogel

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...