Das Frühstückbuffet im Gasthof Sabathy lässt keine Wünsche offen: Erdbeeren oder Lachs auf einer Berghütte, hat man so etwas schon gesehen?
Leider halten mich nach dem Frühstück einige Dinge auf, z.B. muss ich mir für in drei Tagen eine neue Unterkunft suchen, da mir das eigentlich fest eingeplante Gasthaus in Brückl abgesagt hat; dann muss ich erstaunlich lange warten, bis mir die Chefin meine Wasserflaschen auffüllt, da sie vorher allerlei Spiegeleier und Rühreier zu servieren hat.
Somit komme ich heute erst um dreiviertel 10 und damit wieder spät los, und das bei einem langen Tag auf dem Programm.
Das Wetter ist leider deutlich schlechter als prognostiziert, die eigentlich angekündigte Sonne lässt sich nur in weiter Entfernung blicken, rings um mich herum sind dichte Wolken, die teilweise auch die Gipfel einhüllen.
Zweieinhalb Stunden soll es hinauf bis zum Zirbitzkogelhaus dauern. Der Weg kommt relativ schnell aus dem Wald heraus und geht nahezu übergangslos in eine große Geröllfläche über, die ein weites Kar unter dem schon sichtbaren Gipfel bildet. Einzige Auflockerung auf diesem Weg ist ein kleiner See unmittelbar vor dem Steilaufschwung hinauf zum Gipfel.
Heute Morgen fällt es mir schwer. Die Beine sind schwer, der Wind pfeift wieder einmal in Böen, so dass ich irgendwann die Regenjacke anziehen muss, einmal versteige ich mich in Gedanken und komme etwas vom Weg ab. Zum Glück ist das Gipfelhaus und die Radarstation auf dem Nachbargipfel nun wolkenfrei. Kehre um Kehre arbeite ich mich hinauf, bis ich um kurz nach 12 schließlich oben bin. Die Hütte ist tatsächlich geöffnet, ich ignoriere sie aber aus Prinzip und gehe zum etwas erhöht daneben stehenden Gipfelkreuz. Mit 2.396m ist der Gipfel der bisher höchste Punkt der Tour.
Bei guter Sicht könnte man hier bis zur Rax zurückschauen, aber daran ist heute nicht zu denken. Dafür überblicke ich das Programm bis morgen Abend: Der langgezogene Bergrücken der Seetaler Alpen und der dahinter liegenden Saualpe erstreckt sich weit gen Süden; irgendwo dazwischen, wahrscheinlich eher weit als nah, liegt das Klippitztörl, der Pass an dem ich heute übernachte.
So halte ich mich nicht lange auf. Zwei Snickers aus dem Rucksack bilden das Mittagessen, und weiter geht's.
Nun beginnt ein Höhenweg der Superlative: Ich werde auf dem Eisenwurzenweg fast 50 Kilometer immer auf der Höhe und fast immer auf dem Kamm bleiben mit Aussicht zu allen Seiten, nur am Klippitztörl kurz Asphaltkontakt haben und erst übermorgen wieder aus der Almregion in tiefere Gefilde absteigen.
Dann erlebe ich einen Gänsehaut- Moment: Ganz schwach und schemenhaft sind am Horizont die Karawanken zu erkennen: Dort beginnen die Südalpen, der nächste große Abschnitt meines Weges.
Die Landschaft sieht nun über eine lange Strecke so aus wie in den schottischen Highlands: Endlose Almwiesen mit ebenso endlosen Zäunen, an denen ich ohne größere Zwischenan- oder Abstiege entlang laufe. Ohne besondere Höhepunkte, aber auf keinen Fall langweilig, bin ich so zwei Stunden unterwegs, bis der Weg zum Sattel der Streitwiese hinabführt. Hier tobte 1480 eine blutige Schlacht zwischen einheimischen Bauern und türkischen Invasoren, die für die Bauern verheerend ausging. Ein großes Kreuz, Blutkreuz genannt, erinnert an diese Niederlage und ihre Opfer.
Kurz danach liegt in einem Waldstück der Grenzübergang Steiermark - Kärnten. Drei Bundesländer habe ich also schon "gepackt".
An der St. Martins- Hütte eine halbe Stunde später wäre ich gerne eingekehrt, jedoch läuft auch hier ein unüberhörbarer Dieselgenerator, zum anderen zeigt erstmals ein Schild die verbleibende Entfernung zum Klippitztörl an: Dreieinhalb Stunden, und es ist bereits 15 Uhr. Also keine Zeit für irgendwelche Ablenkungen.
Der Steig führt bald aus dem Wald heraus und wieder über Almwiesen. Das Wetter bessert sich nun stetig, ebenso die Sicht: Ich blicke auf halb Kärnten hinab, sehe die Karawanken nun klar vor mir, und auch in Richtung der hohen Berge hin sind viele Berge erkennbar. Leider ist der starke Wind auch wieder da, der im Wald nicht zu spüren war.
Nun geht es über mehrere Wiesenbuckel, die Markierungen sind mangels Möglichkeit, sie irgendwo anzubringen oder aufzumalen, eher dürftig. Aber mit ein wenig Orientierungssinn ist es leicht, auf Kurs zu bleiben.
Den höchsten dieser Buckel lasse ich aus und wandere drum herum, irgendwann stoße ich wieder auf den am Kamm verlaufenden Weg.
In der Rückschau wird der Zirbitzkogel derweil immer kleiner; kaum zu glauben, dass ich dort noch vor ein paar Stunden oben war.
Der Steig taucht nun wieder unter die Baumgrenze, Wiesen, kleine Gehölze und längere Waldpartien wechseln sich munter ab. Es ist eine Freude, hier unterwegs zu sein, leider muss ich diese herrliche Landschaft durcheilen. Nur für gelegentliche Fotostopps nehme ich mir die Zeit.
Einzige Komplikation ist später am Nachmittag eine Windwurfzone, in der die umgefallen Bäume kreuz und quer liegen. Meist führen Trampelpfade um die Baumleichen herum, gelegentlich ist aber auch wieder Spürsinn gefragt.
Beim Erreichen der ersten Skipiste des Klippitztörl- Skigebiets möchte ich schon durchschnaufen, jedoch zeigt ein Schild erbarmungslos an: "Naturfreundehaus 1 Stunde".
Mein GPS lotst mich zum Glück bald auf einen schmalen Pfad, der etwas abenteuerlich wie durch einen verwunschenen Wald stetig bergab führt und mich schließlich nach 45 Minuten zum Ziel führt.
Im Naturfreundehaus Klippitztörl werde ich sehr freundlich empfangen. Eigentlich mit einem Platz im Matrazenlager rechnend bekomme ich ein kleines Doppelzimmer zugewiesen, das zu allem Luxus eine eigene Dusche hat; besser kann man es nicht antreffen nach so einem langen Tag.
Zum Abendessen wird dann eine große Schüssel Fritatensuppe gereicht, und das anschließende Cordon Bleu spannt sich über den ganzen Teller - perfekt.
Nach dem Essen komme ich mit einem Ehepaar aus Frankreich ins Gespräch, mit mir so scheint es die einzigen Übernachtungsgäste, und kann mich so schon einmal sprachlich üben für die Zielgerade meiner Tour des Alpes. Die Frau beklagt sich, dass das leckere Essen der bisher 10 Tage Urlaub in Österreich bereits deutliche Spuren an ihrem Körper hinterlassen habe. Mein "Mais, c'est la vacance, c'est pas grave" erntet zustimmendes Gelächter.
Bald darauf entert noch eine lebhafte Jugendgruppe den Gastraum, aber da bin ich schon auf dem frühen Weg ins Bett.
Glück des Tages: Die Karawanken am Horizont
Gelaufen: 26,9 Kilometer
Bergauf: 1.189 Hm
Bergab: 1.177 Hm
Höchster Punkt: Zirbitzkogel (2.396m)
Übergänge: keine
Gipfel: Zirbitzkogel