Heute geht es hinauf in den Hochschwab. Den Gipfel und das daneben liegende Schiestl-Haus werde ich jedoch auslassen, zum einen der Kräfte wegen, zum anderen weil sich trotz des Sonnenscheins bereits in der Früh oben die ersten Wolken einnisten.
Das Frühstück hier auf der Voisthaler Hütte ist das totale Gegenteil der etwas archaischen Morgen- Mahlzeit von gestern: Ein solches Buffet würde manchem Hotel zur Ehre gereichen. Ich lange gerne und mit Appetit zu.
Dann verabschiede ich mich von meinen Zimmergenossinnen, die heute nach Seewiesen absteigen, und von der netten Hüttencrew. Heuer bin ich der vierte oder fünfte, der hier auf einer Alpenüberquerung von Wien aus durchkommt, aber der erste mit dem Ziel Monaco, während alle anderen wohl stets Wien - Nizza als Route haben. Jedoch mussten meine "Vorgänger" alle wieder absteigen und mit dem Bus weiterfahren, da der Übergang zur Sonnschienhütte bis vor einer oder zwei Wochen noch nicht gangbar war. Pech oder schlechtes Timing? Meinen Startzeitpunkt ab Wien fand ich in der Betrachtung der vielen Berichte als den frühest praktikablen, um auf möglichst wenig Schnee zu treffen und um rechtzeitig vor einem vielleicht frühen nächsten Winter anzukommen. Ich hatte für alle Fälle aber auch eine Alternativroute über Mariazell ausgeknobelt, falls der Schnee partout nicht aus den Bergen weichen wollte. Jedenfalls habe ich Glück und der Hochschwab- Übergang ist heute machbar.
Dann nehme die erste echte Hochgebirgsetappe in Angriff.
Zunächst geht es weiter das wilde Seetal empor. Hier liegt, je weiter man kommt, noch jede Menge Schnee, der jedoch gut gespurt ist von den vielen Bergfreunden, die an diesem Pfingstwochenende unterwegs waren und sind.
Beim Aufstieg zum Trawiessattel folge ich einem Pärchen aus Wien, so ist die Routenführung in den gut gangbaren Schneefeldern etwas einfacher. Tief unter mir rutschen zwei Gemsen den Schnee hinunter und ziehen dann in das weite Kar; ich liebe diese Gebirgsspezialisten, die hier so häufig sichtbar sind, während sie in Bayern als Schädlinge des Bergwaldes gesehen und vom Staatsforst überhart bejagt werden.
Der Sattel ist unauffällig, es geht auf der anderen Seite direkt wieder hinab, hier liegt zum Glück deutlich weniger Schnee.
Am Abzweig zum "G'hackten" wird es ernst, es beginnt eine spektakuläre Steiganlage hinauf auf den Hochschwab- Gipfelstock. Vier oder fünf Serpentinen in der Sonne gönnt mir der Weg noch, dann beginnt die erste steile Leitertreppe, gefolgt von mit Ketten und Stahlseilen gesicherten Abschnitten und weiteren Stahlstufen. Eine herrliche Kraxelei ist das, anstrengend zwar aber trotz aller Steilheit so gut zu steigen, dass es eine Freude ist. Bergauf wohlgemerkt, bergab wäre das eine ganz andere und um Welten komplexere Hausnummer.
Leider erreiche ich bald die Wolken, die mir von oben entgegenkommen und schnell den ganzen Berg eingehüllt haben werden.
Eine Stunde später habe ich den Ausstieg des "G'hackten"- Steigs erreicht und stehe vor der Fleischer- Biwakschachtel, eine tonnenförmige Konstruktion, die gewiss schon viele Leben gerettet hat.
Hier kommt zum letzten Mal heute ganz kurz die Sonne durch, dann wird es rasch düster.
Rechts ginge es noch einmal hinauf zum Gipfel, ich nehme jedoch den Weg nach links in Richtung Häuslealm, für den dreieinhalb Stunden veranschlagt werden. Da mir die Wetterlage nicht gänzlich geheuer ist und es sowieso nichts zu sehen gibt von der mich umgebenden zweifellos spektakulären Hochgebirgsszenerie nehme ich nun die Beine in die Hand.
Zum Glück ist es zwar windig aber nicht kalt, so kann ich die zweilagige TShirt-Wanderkluft anbehalten und die zusätzliche Jacke im Rucksack lassen.
So ganz ohne Sicht in die Umgebung hat dieser Weg über weite Strecken etwas vom schottischem Hochland, ich orientiere mich an den vielen Markierungsstangen und regelmäßigem Blick auf das GPS.
Gelegentlich treffe ich andere Wanderer, die mir entgegenkommen oder im Nebel pausieren, ansonsten habe ich das Gefühl, in dieser windigen Suppe alleine unterwegs zu sein.
Gelegentlich treffe ich andere Wanderer, die mir entgegenkommen oder im Nebel pausieren, ansonsten habe ich das Gefühl, in dieser windigen Suppe alleine unterwegs zu sein.
Irgendwann geht es dann bergab in die Latschenzone; eine deutliche Erleichterung durchströmt mich, ist doch nun der exponierte Teil des Tages geschafft.
Der weiterhin bestens markierte Weg durch die Latschen ist gespickt von zum Teil ausgedehnten Schneefeldern rechts und links und zum Teil natürlich auch auf dem Weg. Da selbst hier Nebel über der Landschaft liegt, hat das Ganze ein wenig von Novemberstimmung, nur wärmer.
Höhepunkt dieses Wegabschnittes ist die Abwärtspassage auf einem weiten Schneefeld, bei der man fast skifahrerisch lustig heruntergleiten kann; eine mit mir "abfahrende" Wandergruppe juchzt vor Freude.
Später an der Häuslealm trinke ich ein gemütliches Radler, windgeschützt lässt sich diese Wetterstimmung sogar auf der Terrasse aushalten, ich habe hier aber auch die Wolkenzone verlassen und bin nun quasi unter dem Nebel.
Eine Dreiviertelstunde ist es noch bis zur Sonnschienhütte, gleichwohl wird es deutlich länger dauern, wartet doch noch das Tageshighlight auf mich: Der Sackwiesensee, zu dem man ein wenig heruntersteigen muss. Zwar herrscht alles andere als Badewetter, aber es ist einfach zu verlockend. So mache ich es der Wandergruppe von vorhin gleich, die sich 100 Meter weiter zum Baden niedergelassen hat, schlüpfe aus den Klamotten und springe ins Wasser. Herrlich, und längst nicht so kalt wie für einen Bergsee eigentlich zu erwarten. Nach dem kurzen Bad bin ich bester Laune.
Der Weiterweg zum Etappenziel ist wieder von reduzierter Sicht geprägt und wird von mehreren Kuckucks untermalt. Das klingt, als würde mich ein und der selbe Vogel eine halbe Stunde lang begleiten.
Drinnen geht es ein wenig chaotisch zu. Zwar bekomme ich meinen Platz im Matrazenlager zugewiesen, beim Essen ist jedoch Toleranz gefragt: Am Telefon hatte ich auf die Frage "Halbpension oder Abendessen à la carte" letzteres gewählt. Nun wird mir bescheinigt, dass es das nur bis halb sechs gäbe, und es ist 20 nach fünf, und ich für das Halbpensionsessen leider nicht eingeplant sei. Was nun? Eine "Nudelpfanne" könnte ich noch bekommen. Diese stellt sich als ein ziemlich übersichtliches Tellergericht heraus, das zwar lecker ist, jedoch keinen Bergsteiger mit hinreichend Kalorien versorgen kann. Was soll's, ärgern bringt nichts. Zum Glück habe ich noch ein wenig Wurst vom Habsburghaus im Rucksack, die ich mir schmecken lasse - nein, natürlich nicht die Packung, die ich am Schneealpenhaus ordnungsgemäß überreicht habe.
Da es hier WLAN gibt, aber kein Telefon, hilft mir Susanne im Houston Mission Control Center bei der mangels Angebot nicht ganz einfachen Hotelbuchung für meinen Ruhetag in Eisenerz.
Dann beende ich diesen spannenden Tag, während draußen bei Schauer und Gewitter die Welt unterzugehen scheint.
Glück des Tages: Das herrliche Bad im Sackwiesensee
Gelaufen: 19,5 Kilometer
Bergauf: 1.002 Hm
Bergab: 1.107 Hm
Höchster Punkt: Fleischer-Biwakschachtel (2.153m)
Übergänge: Trawiessattel, Hochschwab- Plateau