Mittwoch, 8. Juni 2022

13. Tag: 06. Juni 2022 Sonnschien-Hütte - Eisenerz

Wir mussten in der Nacht das Fenster weit offen lassen, da anlehnen oder kippen nicht möglich war. So hat es bei dem Unwetter und auch danach ganz schön in unser Lager reingezogen. Mit dem Buff um den Hals und zwei Decken war das dann aber ganz ok.
Das Frühstück ist hier gedeckt mit Namensschild auf dem Tisch, dafür jedoch insgesamt wieder Hüttendurchschnitt, diesmal mit abgezähltem Selbstbedienungskaffee, "Jeder bitte nur 2 Tassen", aber mit leckerem Brot.
Beim Bezahlen komme ich mit der Hüttenwirtin auf die neue deutsche Welle und die Band SPLIFF zu sprechen, da gerade Herwig Mittereggers IMMER MEHR im Radio läuft. Sie habe die bekannteste SPLIFF-LP "85555" daheim; ich erstaune immer wieder, welche Gesprächsthemen sich auf einer Berghütte ergeben können.
Draußen will weiterhin die Sonne partout nicht scheinen, dafür sieht man wenigstens ein wenig mehr Bergkulisse als gestern. Erzherzog Johann, so hat mir die Hüttenwirtin auch noch erzählt, war 1803 von Seewiesen über den Hochschwab nach Eisenerz gewandert, „um einen neuen Vorrat Gesundheit zu sammeln“, und hatte dabei die Sonnenschien-Alm als den zweitschönsten Almboden Österreichs bezeichnet; nach der Schneealpe, die mir ja auch gut gefallen hat, und noch vor der Seiser Alm, die ja damals auch zu Österreich gehörte.
Fünfeinhalb Stunden bis zum Leopoldsteiner See veranschlagt das Wanderschild vor der Hütte, der liegt kurz vor Eisenerz. Kurz hinter der Hütte sehe ich die ersten Alpensalamander; für sie als Schlechtwetterspezialisten war die Unwetternacht bestimmt ein Traum.
Es geht nun über herrliche Almwiesen und eine vielfältige kleinräumige Landschaft, aus denen sich der Winter gerade erst verabschiedet. Jeder Geländezug führt den Weg hinab in eine neue Senke und jenseits wieder hinauf, es ist wieder einmal eine Freude, hier zu wandern. Und ich bin, so scheint es, wieder einmal ganz allein unterwegs, lediglich eine junge Wanderin kommt mir mit großem Rucksack entgegen.
Die meisten dieser Almen sind noch nicht bestoßen, nur am Sonnschien und an der Androth- Alm sind Kühe zu sehen. 
Hinter letzterer Alm wird es heller und es kommt sogar die Sonne hervor, dadurch sind nun auch die steilen Felswände des westlichen Hochschwab zu sehen; wieder zeigt sich die enorme Ähnlichkeit mit den Dolomiten.
Am Fobistörl habe ich den höchsten Punkt erreicht, danach leitet mich der Weg am munter sprudelnden Bach entlang zur verschlossenen Hütte der Fobisalm. Auf den Bänken davor sitzen meine beiden Tischnachbarinnen der Sonnenschien-Hütte, die hier Pause machen. Sie beschließen heute ihre Hochschwab- Hüttentour und müssen von Eisenerz wieder heim fahren, brechen daher auch bald wieder auf. Ich habe glücklicherweise mehr Zeit und mache auf der Bank in der Sonne ein kurzes Mittagsschläfchen. Als es sich wieder ein wenig zuzuziehen scheint, mache ich mich auch auf.
Ein rustikaler Almfahrweg führt nun unter den Felswänden weiter das Fobistal hinunter, das bald mit Kiefern und Fichten bewaldet ist. Eine Gams steht in einer dunklen Waldpassage auf dem Weg, beäugt mich neugierig und schlüpft ins Unterholz. 
An einer abrupten Geländestufe endet dieses Tälchen, und ich schaue hinunter in einen 300 Meter tiefer gelegenen Talkessel. Wie geht es jetzt dort hinunter? Der Fahrweg ändert nun seinen Charakter und führt in abartigem Gefälle an der Wand entlang in die Tiefe. Hatte ich mich vorher schon gefragt, welches Fahrzeug dieses Weglein befahren kann, fehlt mir nun die Fantasie. Es ist so spektakulär steil, dass man bei jedem Schritt aufpassen muss, nicht auszugleiten. 
Eine knappe Stunde später bin ich unten und blicke zurück: Es scheint von hier aus unmöglich, dass durch diese Wand ein Fahrzeug hinaufgelangen kann.
Eine weitere, nicht ganz so krasse Geländestufe ist noch zu überwinden, dann geht es hinaus zum Almboden der Seeau, wo ein Tor in einem Wildgatter das heutige Abenteuer symbolisch beendet. Ich bin fast ein wenig traurig, diese herrliche Landschaft verlassen zu müssen. Der Fahrweg mutiert nun zur gekiesten Straße; auf dieser gelange ich einige Zeit später zum erstaunlich großen Leopoldsteiner See, der idyllisch vor einer Felswand liegt. Blaues Wasser, ein kleiner Kiesstrand lädt zum Baden, dazu ein kleiner Kiosk mit einem freien Tisch zur Seeblick - Pausenzeit. Ich kaufe mir eine Cola und lasse mich nieder. Leider verliert das hübsche Ambiente erheblich an Reiz durch das vernehmlich tuckernde Dieselaggregat des Kiosk, so dass ich den Aufenthalt kurz gestalte und bald wieder losziehe.
Ein überraschend ausgeprägter bewaldeter Geländeriegel ist noch zu überwinden, dann blicke ich hinab auf Eisenerz mit dem dahinter aufragenden Erzberg. Ich war schon sehr gespannt auf diesen terrassenartigen Tagebau, der absolut unwirklich in der alpinen Umgebung wirkt.
Entlang der von gleichförmigen Wohnblöcken im Genossenschaftsstil  gesäumten Hauptstraße gelange ich ins Zentrum. Hier werde ich zwei Nächte im Eisenerzer Hof verbringen. Das Gasthaus hat heute Ruhetag, jedoch steht wie verabredet mein Name auf der Liste der Ankommenden, und der Schlüssel steckt an der Zimmertür.
Nach einer ausgiebigen Dusche schnüre ich nochmal die Schuhe, die örtliche Pizzeria lockt zum Abendessen.
Das Städtchen zeigt in seinen Straßen und Gassen viel alte Pracht und einstigen durch den Erzberg begründeten Reichtum. Gleichwohl hat vieles einen gewissen morbiden Charme, bröckeln die Fassaden an manchen Stellen und stehen doch fast alle Ladenlokale leer.
An der lebhaft besuchten Pizzeria erwartet mich eine schöne Überraschung: Heinrich aus der Schweiz sitzt auf der Terrasse. Er hatte auf der Voisthaler Hütte keinen Platz bekommen und ist angesichts der sich verschlechternden Wetterlage von Seewiesen aus mit dem Bus um den Hochschwab herum und hierher gefahren. Morgen startet er nach Radmer, um dann das Gehäuse zu durchwandern.
Wir haben wieder einen schönen Abend und sind am Ende beinah die letzten Gäste. Heute sehen wir uns aber wohl zum letzten Mal, da ich übermorgen eine andere Route einschlagen werde.

Glück des Tages: Manchmal geht man völlig ohne Erwartung an etwas heran und wird total positiv überrascht. So war es heute mit dieser Etappe durch den westlichen Hochschwab, die mir so gut gefallen hat.

Gelaufen: 20,1 Kilometer 
Bergauf: 369 Hm
Bergab: 1.196 Hm
Höchster Punkt: Fobisthörl (1.608m)
Übergänge: Fobisthörl

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...