Um 7 Uhr gibt es für uns Frühstück. Dieses ist hier auf das absolut elementarste reduziert: Kaffee, 2 Scheiben Mischbrot, ein Schüsselchen mit Marmelade, 2 Stück abgepackte Butter; eine dritte Scheibe Brot gibt es auf Anfrage. Man muss es positiv betrachten: So muss ich heute mal nicht den immer gleichen gelben Schnittkäse essen.
Draußen ist herrlicher Sonnenschein und kein Wind als wir um 10 vor acht vor die Hütte treten. Jedoch soll es heute sehr warm werden, so dass am Nachmittag Gewittergefahr besteht.
Erstes Ziel ist der Gipfel der Hohen Veitsch, der direkt hinter der Hütte aufragt; das Wetter ist heute ungleich geeigneter als der Nebel gestern. 20 Minuten später bin ich oben und genieße kurz den prächtigen Ausblick. Zum allerletzten Mal sind Schneeberg und Rax zu sehen, genau in die andere Richtung steht das mächtige Hochschwab- Massiv, da will ich heute hin.
Knapp unter dem Gipfel treffe ich wieder auf Gemsen: Erst sind es zwei, denen ich nicht geheuer bin, dann eine einzelne, an der ich recht dicht vorbeikomme und schließlich ein größerer Trupp, der wieder recht ängstlich ist.
Über den Teufelssteig verliere ich rasch an Höhe und lasse die Hohe Veitsch hinter mir. An der Turnauer Alm fahren Kinder mit dem Rad zwischen den Almhütten - Wochenend-Idylle.
In den nächsten zwei Stunden lösen sich Wanderwege und Forststraßen munter ab; einmal ist eine Kuhtränke zu passieren, vor der die Wiese völlig vollgeschissen ist, ohne dass sich irgendwo eine Möglichkeit auf unbehelligte Passage bietet.
An der Göriacher Alm ist die Hohe Veitsch schon ziemlich entfernt; es ist immer wieder eindrucksvoll, wie schnell man zu Fuß echte Distanzen überwindet. Hier stoße ich auch wieder auf zwei österreichische Wanderwege: Den Steierischen Mariazellerweg und den 05er, das ist der Nord-Süd- Weg vom nördlichsten zum südlichsten Punkt Österreichs.
Mitten im Wald sehe ich noch einmal eine Gams, dann führt mich ein hübsches Wiesental an den Seetalsattel.
Zu dessen Passhöhe ist jedoch noch eine ebenso hässliche wie steile Straße zu überwinden. Oben findet sich ein Weitwanderdenkmal, da sich an dieser Stelle die Europäischen Fernwanderwege Pyrenäen- Neusiedler See und Ostsee - Adria treffen, hier ist fernwandermäßig so richtig was geboten.
Wie gewonnen so zerronnen: Die eben mühsam aufgebauten Höhenmeter zum Sattel gehen direkt wieder verloren, da der weitere Weg durch einen steilen glitschig- feuchten Wald hinunter nach Seewiesen führt. Man ist dabei immer in direkter Hörweite zur Passstraße, auf der heute in stetiger Folge lautstark das samstägliche Motorrad-Ausfahren stattfindet.
In Seewiesen erbitte ich im örtlichen halb abgebrannten Gasthof das Befüllen meiner Wasserflasche, besten Dank hierfür, und stoße zusätzlich kurz darauf im etwas heruntergekommenen Ort noch auf die "Seewieser Tränke", bei der ich mir eine Apfelschorle aus dem Selbstbedienungs- Wassertrog fische. Bei der Hitze heute eine tolle Sache.
Mit Überqueren der Seeberg- Bundesstraße beginnt der Hochschwab. Zunächst gilt es, das lange Seetal auszulaufen, dann folgt am Talschluss noch ein Aufschwung zur Voisthaler Hütte. Drei Stunden stehen hierfür am Parkplatz angeschrieben; dass vor über 20 Minuten in Seewiesen auch schon drei Stunden standen ist wieder einmal rätselhaft.
Eine Schotterstraße führt den Talgrund entlang, rechts und links ragen die Felswände hoch in den Himmel. Der Anblick und auch die Dimensionen erinnern sehr stark an die Dolomiten. Hier kommt mir zum ersten Mal seit Wien eine größere Anzahl Menschen entgegen, bislang konnte ich in der Summe die mir in diesen fast zwei Wochen insgesamt Entgegenkommenden an vielleicht vier Händen abzählen; aber für einen Samstag in dieser Umgebung ist das alles auch heute noch völlig überschaubar.
Den abschließenden Aufschwung zur Hütte gehe ich langsam an, ich spüre deutlich die vielen Kilometer in den Beinen. Zum Glück verläuft ein Großteil der Route im Wald, das macht es ein wenig angenehmer.
Unmittelbar unter der Hütte, die schon vorher hoch oben zu sehen war, höre ich auf einmal ein lautes Krachen am Hang über mir. Keine Ahnung, was das sein könnte, ich schaue mich um. Da: Einige Steinböcke raufen miteinander, und auf einmal befinde ich mich in einer richtigen Herde dieser majestätischen Tiere. Sie sind so vertraut, dass sie erst auf 5 Meter vom Weg gehen und mir Platz machen. Wieder ein tolles Wild-Erlebnis.
Dann habe ich es geschafft und die Hütte erreicht. Sie ist ein sehr moderner Kubus, gebaut 2020/ 2021. Wie immer ist solch ein Bau für Puristen wie mich erst einmal gewöhnungsbedürftig, hat aber auch große Vorteile, wie sich noch zeigen wird.
Die Hohe Veitsch ist im Rückblick unglaublich weit entfernt. Da bin ich heute früh noch gewesen? Meine Augen sagen nein, meine Beine sagen ja.
Der Empfang ist überraschend persönlich: "Christian?" Offensichtlich bin ich der letzte Ankommende mit Vorbestellung. Ich hatte vor zwei Tagen hier angerufen, da war eigentlich alles voll. Aber auf meinen Hinweis auf meine Alpenüberquerung meinte die Chefin, dass sich irgendwas finden wird, vielleicht kommt ja auch jemand nicht. So ist es dann auch, ich bekomme einen Platz im Lager. Wobei ein Lager in solch einer modernen Hütte ein echter Luxusplatz ist, der in anderen Hütten als Zimmer durchgehen würde. Ich beklage mich nicht. Das Zimmer teile ich mir mit drei netten jungen Frauen aus Wien, die heute von der Sonnschienhütte kamen, wo ich morgen hin will.
Zum Abendessen nehme ich eine Linsensuppe und dann Bolognese- Nudeln, beides klasse.
Als es dunkel wird ist Wetterleuchten zu sehen und ferner Donner zu hören, aber da bin ich schon auf dem Weg ins Bett.
Glück des Tages: Ich bin heute zweimal richtig gestürzt. Dass sowohl meine Knochen als auch mein Equipment unversehrt blieben ist doppeltes Glück.
Gelaufen: 28,7 Kilometer
Bergauf: 1.249 Hm
Bergab: 1.493 Hm
Höchster Punkt: Hohe Veitsch (1.981m)
Übergänge: Seebergsattel
Gipfel: Hohe Veitsch