Sonntag, 5. Juni 2022

10. Tag: 03. Juni 2022 Neuberg an der Mürz - Graf Meran-Haus

Eine Analogie aus dem Fußball: Es gibt gloriose Spiele, die finden zum Beispiel in Brasilien statt und enden 7:1, und es gibt Arbeitssiege, die enden nach Kampf und Einsatz 1:0 oder 2:1 - nur das Ergebnis zählt. Heute war es ein reiner Arbeitssieg, der mich zum Graf Meran-Haus auf der Hohen Veitsch brachte. 
Erst um 8 Uhr gibt es Frühstück beim Teichwirt Urani, und so wird es wieder 9 Uhr, als ich starte, recht spät für diesen langen Tag. Es ist heute nicht sonderlich warm aber ziemlich schwül, und über dem Tal hängt dichter Hochnebel.
Zunächst muss ich für einen knappen Kilometer wieder der Mürztal- Bundesstraße folgen, dann geht es über einen zugewachsenen Forstweg bergauf. Das Gras und die tief hängenden Zweige sind tropfnass nach dem nächtlichen Regen, und ich muss sehr vorsichtig gehen, damit ich nicht sofort Schuhe und Klamotten durchnässt habe. Ein steiler Bergpfad schafft ein wenig Linderung, und auch die in der Folge immer mal wieder zu begehenden Forststraßen sind dann nicht mehr so zugewachsen. Dafür sind lange Passagen von Blaubeerbüschen zu meistern, die den Pfad fast gänzlich zugewachsen haben, so dass ich oft nicht mal mehr meine Schuhe sehe; zum Glück sind diese Sträucher nicht mehr ganz so nass. 
Unterwegs komme ich an einer Ameisen-Megacity vorbei: 9 Ameisenhaufen ballen sich hier auf der Fläche eines Tennisplatzes.
Nach zweieinhalb Stunden habe ich das Veitschbachtörl erreicht, ein 1.377m hoher Gipfel, der ein wenig Aussicht bietet. 6 Stunden sind hier bis zum Meran-Haus angeschrieben, aber das kann nicht stimmen, es ist zwar noch weit, aber so weit sicher nicht; derartige Ungereimtheiten bei den Wegzeiten werden mir heute mehrfach begegnen.
Leider ist dieser Aufstiegserfolg nicht wirklich etwas wert, denn es geht direkt wieder mehr als 200 Höhenmeter runter. 
Nun folgt eine mehrere Stunden lange Waldpassage ohne größere Höhepunkte, aber mit einigem Bergauf und leider auch immer wieder spürbaren Bergab. Manchmal weiche ich auf Forststraßen aus, um schneller voran zu kommen und um nicht immer nassere Bergschuhe zu bekommen.
Irgendwann führt dann die Straße zu den Hütten der Kleinveitschalm. Hier mache ich Pause und setze mich vor eine der verschlossenen Hütten. Die Aussicht ist schön, und ich genieße diese halbe Stunde sehr.
Zweieinhalb Stunden noch bis zum Graf Meran- Haus, gibt ein Schild Auskunft. Es geht weiter stetig ansteigend die Almstraße entlang, nach 20 Minuten biegt dann der 01er auf einen Bergpfad ab. Hier steht wieder Zweieinhalb Stunden, etwas später sogar drei Stunden; ja was denn jetzt?
Ich muss nun über den ganzen Kamm bis unter die Hohe Veitsch wandern; immer etwas unterhalb der höchsten Linie, aber trotzdem bis hinauf dem strammen Wind mehr oder weniger ausgesetzt. Der Kamm geht über 5 oder 6 Kare, die es alle auszugehen gilt, was leider auch den einen oder anderen Höhenmeter- Verlust bedeutet. Oberhalb der Latschenzone ist ein harmloses Schneefeld zu queren, dann beginnen die Wolken. Es herrscht jedoch kein Nebel, nur etwas diffuse Stimmung mit eingeschränkter Sicht; man ist hier ganz auf sich beschränkt, Ablenkungen rechts und links gibt es keine mehr. 
Kurz vor der Hütte geht es noch sehr eindrücklich an einem riesigen Schneefeld vorbei, dass in eine Karst-Doline hinuntergeht, dann - man sieht es jedoch erst ganz am Schluss - hat die Schinderei ein Ende und ich stehe vor dem Graf Meran-Haus. 
Drinnen herrscht eine andere Welt: In der dunklen Stube bollert der Kachelofen, im Nu ist das Wetter draußen vergessen. Drei Männer sitzen im Raum, einer ist Heinrich aus der Schweiz vom Öhler Schutzhaus. Ich hatte ja fast mit ihm hier oben gerechnet, und er auch mit mir, als er gehört hatte, dass sich noch ein Deutscher angemeldet habe.
Wir beiden sind die einzigen Übernachter heute und tauschen uns erst einmal aus. Er ist den Gamseck-Steig in der Rax gegangen und berichtet, dass diese Route haarsträubend war; meine Route übers Habsburghaus war also für mich die richtige Entscheidung.
Den ganzen Abend stehen wir nun nicht mehr auf und sitzen bis zur Schlafenszeit mit dem Hüttenwirt und einem seiner Freunde am Stammtisch. Drinnen ist es herrlich warm, draußen pfeift derweil der Wind.
Zu guter Letzt dürfen wir sogar statt ins Matrazen- ins sehr urige Zimmerlager. 

Glück des Tages: Der Augenblick, als ich in die warme Hüttenstube kam.

Gelaufen:  22,5 Kilometer 
Bergauf: 1.599 Hm
Bergab: 493 Hm
Höchster Punkt: Graf Meran-Haus
Übergänge: Mürz (Fluss), Veitschbachtörl

Ausrüstung

" Ihm gehörten die Dinge in seinen Taschen, die Kleidung, die er trug, und die Schuhe an seinen Füßen. Das war alles, und es genügte. ...